Sinnesschärfe im Spotlight

Gestern kam die Frage: Wie spiele ich denn Sinnesschärfe  aus, ohne die Würfel zu bemühen? Gute Frage, die mich daran erinnert, dass das Thema Wahrnehmungs-Skills eine der härtesten Nüsse war, die ich bei der Entwicklung von Destiny zu knacken hatte, zumal auch wir beim Testen der ersten Entwürfe bemerkten, was wir von DSA schon kannten, nämlich dass gefühlte 25% aller Proben Sinnesschärfe-Proben waren. Das war mir als Entwickler ein Dorn im Auge, denn bei mir sollte kein Skill derart dominieren.

Kurios ist, dass es in DSA1 keine Sinnesschärfe  gab. Da waren MU, KL, CH, GE und KK, aber ich glaube nicht, dass das Buch der Regeln Wahrnehmung unter eine der Eigenschaften subsumierte. Wie spielten wir also? Wir beschrieben wohl mehr, worauf wir achteten, SC-Wahrnehmung hatte schlicht wenig Bedeutung. Fallen waren Fallen, die man nicht kommen sah, es war wichtiger, wie man darauf reagierte. Aus Überfällen war einfach das Beste zu machen, und Geheimtüren und Schätze fand man mittels Zwergennase.

Heute hingegen ist v.a. das Verständnis der Spieler von ihren SCs ein anderes. Glauben wir ein Anrecht auf eine rettende Probe zu haben, um uns geistig-seelisch für das zu wappnen, was auf uns zukommt? Oder vielleicht um als Spieler weiterhin das Hirn ausgeschaltet zu lassen und unsere Charaktere walten zu lassen?

Als SL achte ich mehr und mehr darauf, die obligatorischen Wahrnehmungs-Proben zurückzufahren. Das bedeutet vor allem Informationen ohne Probe herzugeben, was für die Story ohnehin oft besser ist. Kurioserweise wundern sich die Spieler dann, dass sie nicht würfeln müssen. Und wenn ich sage: „Im trockenen Waldboden findest du in der Nacht ohne Fackel vom Pferd aus sicher keine Spuren, vergiss es“, reagieren sie mit: „Nicht einmal bei einem Glückswurf??“ Da ist also noch Arbeit zu leisten.

Systemseitig gibt es in Destiny jedenfalls keine dedizierte Wahrnehmung, gewürfelt wird auf das thematisch betroffene Intelligenz-Attribut: INT/Natur, wenn es darum geht, einen Vogel am Horizont als Drachen zu erkennen, oder INT/Gesellschaft, wenn man die Schweißperle auf der Stirn des Hochstaplers bemerken soll, INT/Kampf, wenn man einen Hinterhalt entdecken will oder INT/Magie, wenn einem Runen in Ornamenten oder Pilzkreise auf einer Lichtung auffallen sollen. Theorie und Wahrnehmung sind hier also gekoppelt. Damit habe ich zumindest systemseitig eine Streuung erreicht. Mehr kann ich nicht tun, um der Allmacht der Wahrnehmung entgegen zu treten.

Die guten alten Zeiten

Was war dein erstes Rollenspiel? Meines war DSA 1, und wenn ich das Buch der Regeln heute in die Hand nehme, erinnere ich mich sogleich, nostalgisch verklärt, an Felix‘ und meine ersten Erfahrungen mit dem Genre. Ich erinnere mich an ein Haus in Havena, in dem sich wenig Sinn, aber dafür massenhaft Fallen und Monster befanden. Ich erinnere mich daran, wie ich Silvanas Befreiung auf dem Atari 800 XL nachprogrammierte. Seufz.

Nostalgie ist eine mächtige Kraft, die stärker wird, je mehr Zeit vergeht. Und sie ist ein potentes Marketing-Instrument. Retro-Klone und Back-to-the-Roots-Tendenzen beweisen das. Ich gestehe gerne, dass auch Destiny nicht zufällig in traditionellem Gewand daher kommt, mit nur wenigen Attributen, keinen Skills und den zwei üblichen verdächtigen „Energien“.

Ebenso mächtig wie Tradition ist aber auch die Evolution. Man kann nicht leugnen, dass die Anforderungen an ein Rollenspiel heute andere sind als damals:

  • Spielfluss ist oberstes Gebot, Wundbrand und lange Regeneration sind ein No-Go (daher in Destiny: Szenenregeneration)
  • Spieler wollen Freiheit bei der Entwicklung ihrer SCs und kein „Magier dürfen nur RS 2 haben“ (daher in Destiny: frei wählbare Talente anstatt Archetypen)
  • Spielleiter wollen ihre NSCs einfach und schnell erschaffen können, Abhängigkeiten und Formeln gehen gar nicht (daher: Destiny-Beginner für NSCs)
  • der gnadenlose Zufall wird überall, wo man hinsieht, entschärft: Bennies & Co. lösen Patzertabellen ab (daher in Destiny: Affinitäten und Destiny-Punkte)

Angesichts solcher Errungenschaften könnte man fast der Meinung sein, dass die Zeit zwar „gut und alt“ war, die Spiele von damals aber nur „alt“. Ich jedenfalls würde lieber jenes Rollenspiel spielen, das ich letzte Woche im Handel erstanden habe, als nochmal das Dokument der Stärke zu befüllen. Retro-Feeling trotzdem nicht ausgeschlossen.