Goldfall – Kapitel 20: Epilog

Es war Mittag des nächsten Tages.

Der Heiler mit der schwammigen Nase hatte gegen gutes Gold Leartos Bisswunden desinfiziert und, wo nötig, genäht und Struggel ein Gebräu gegen seine Halsschmerzen verordnet. In allem, so befand er, war es ein Wunder, dass sie noch lebten.

Über ein Wunder sprachen sie auch mit der Hohepriesterin und deren Mutter, die die bislang ergebnislose Ekstase beendeten, als ihnen die jüngsten Ereignisse zu Ohren kamen. Mit heiserer Stimme erinnerte Struggel, nicht ohne Stolz, daran, dass er es gewesen war, der Kardia von Anfang an verdächtigt hatte; nicht wegen ihrer Magie, sondern ob der Genugtuung, die sich an jenem Abend in ihrem Gesicht gespiegelt und ganz und gar nicht zum Scheitern des Mirakels gepasst hatte. Er gab allerdings zu, dass er bis zu dem Zeitpunkt, da sie ihr in ihrem geheimen Labor gegenüber standen, keine Ahnung gehabt hatte, dass das Gold von Menschenhand aus dem Fluss gefiltert worden war.

Die Hohepriesterin bestätigte, dass Lyreya in vielen heiligen Schriften als Hüterin des Geheimnisses ewiger Jugend erwähnt werde. Dass Kardia aber geglaubt hatte, diese durch den Diebstahl des Goldes erlangen zu können, zeige, wie verbittert sie gewesen war und wie wenig sie die Göttin tatsächlich verstanden hatte.

Als die beiden Helden sich anschickten, den Tempel zu verlassen, hielt die Priesterin Struggel noch auf ein Wort unter vier Augen zurück: “Ich habe Eurer Schilderung der Ereignisse aufmerksam gelauscht, Struggel vom Volk der Trosh. Ihr habt Euch mit dem Wesen der Göttin vertraut gemacht, ihre Gaben zu nutzen gelernt und ihre Legenden erforscht. Ihr habt eine schwere Prüfung gemeistert und, wie ich glaube, Euren Glauben gefunden.”

Struggel antwortete nicht. Er starrte einige Herzschläge lang ausdruckslos, dann wandte er sich abrupt um und zappelte Learto hinterher.

Beide kamen überein, dass sie nichts mehr in Goldfall hielt, und so packten sie noch in derselben Stunde ihre sieben Sachen. Als sie die Taverne verließen, wartete der Dorfsprecher Gorwin auf dem frisch angeschneiten Dorfplatz auf sie, um ihnen händeschüttelnd zu danken und sich bei Struggel für den Argwohn, den man ihm entgegen gebracht hatte, zu entschuldigen. Irgendwo im Hintergrund stand der Bärtige und nickte.

Als sie die Dorfmitte zufrieden verließen, hob hinter ihnen Gemurmel an. Sie wandten sich um und sahen, wie Leute durcheinander liefen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich eine Neuigkeit, und binnen weniger Augenblicke bildete sich beim Wasserfall eine riesige Menschenmenge, deren Jubel und Geschrei zwischen den Felswänden widerhallten. Struggel zog Learto an den Beinlingen und verlangte, seinen Stolz außer Acht lassend, dass er ihn augenblicklich hoch hob, damit auch er sehen könne, was da vor sich ging. Als Learto es sah, strahlte er über das ganze Gesicht und entsprach der Bitte nur allzu gerne. Von den Schultern des Schmiedes aus war Struggel Zeuge, wie sich helle, glänzende Strähnen im Wasser bildeten, zuerst nur vereinzelt, dann immer mehr und immer öfter. Die Begeisterung der Leute kannte kaum Grenzen. Sie lachten, weinten und schrien: “Das Wunder! Kommt und seht! Das Wunder!!”, und die Sonne erreichte gerade ihren höchsten Stand, als sich die goldenen Fäden verdichteten und schließlich, mit einem gewaltigen Rauschen, wunderbares Gold aus dem Goldfall schwallte.

Struggels kleiner Mund stand weit offen, und er blinzelte gegen die Strahlen der Sonne, die sich in der gleißenden Fontäne brachen und von Lyreyas Gnade zeugten.

Ende

Goldfall – Kapitel 19: Die Kaverne

Im Halbschatten erweiterte sich der Tunnel zu einer natürlichen Kaverne.

Ein halbes Dutzend Öllampen, verteilt über fast dreißig Schritt, hingen an den feuchten Wänden und gaben gerade genug Licht, um zu sehen, dass durch das hintere, höher gelegene Drittel der Höhle ein Bach rauschte. Zahllose Tröpfchen hingen in der Luft und trieben einem den Schweiß aus den Poren. Die Feuchtigkeit vermischte sich mit fremdartigen Gerüchen, die weder Struggel noch Learto einordnen konnten. Überall standen Töpfe und Kessel und Tische mit Mörsern, Stößeln und anderem alchemistischen Gerät.

In der Mitte, auf einem kraterartigen, steinernen Sockel, befand sich ein Dreibein mit einem Kessel, an dessen Unterseite rötliche Flammen leckten. Im Schein des Feuers stand Kardia. Ihr graues Haar war zerzaust, und in ihren Augen loderte Wahnsinn. Triumphal hob sie einen Kelch empor, doch dann erspähte sie die Eindringlinge am Höhleneingang.

“Ihr? Wie seid Ihr hierher gelangt? Und wo ist Reißer?”

Struggel blickte sie so finster an, wie er konnte. “Ihr habt mich unterschätzt, Harfenspielerin, und Euer schrecklicher Hund ist Malmerfutter.”

Kardia neigte langsam den Kopf und ließ enttäuscht die Mundwinkel hängen. Dann begann sie zu lachen, schrill und heiser. “Und dennoch bin ich am Ziel meiner Reise! All die Jahre werden hinweggefegt werden wie von einem lauen Frühlingswind. Unschuld und Liebreiz werden das unvergessen machen, was sie mir angetan haben.”

Learto, durch den Blutverlust bleich im Gesicht, stützte sich an einem Stalagmiten ab, während Struggel neugierig wurde. “Was, äh, haben die Jahre Euch denn angetan?”

Kardia blickte auf den Kelch in ihrer Hand. In dem Metall spiegelte sich ihr Gesicht. Sie presste die Lippen aufeinander, um die Traurigkeit zu unterdrücken, die sich wie ein Krampf über ihre Miene breitete. “Zu alt”, schrie sie und richtete wässrige Augen auf Struggel, “zu alt sei ich gewesen für die Weihen der Göttin, könnt Ihr Euch das vorstellen? Ich, die ich meine Gabe von Lyreya selbst empfing! Ich, die ich meine Schönheit und Anmut pflegte und allen Gelüsten versagte, um rein zu sein für sie… für sie.” Sie fletschte die Zähne.

Struggel und Learto warfen einander Blicke zu.

Da begann Kardia wieder leise zu kichern und auf den Kelch zu deuten. “Das hier wird alles ändern. Alles wird sich ändern. Und Ihr,” verkündete sie laut, “werdet Zeugen des wahren Wunders von Goldfall werden!”

Sie hob bedrohlich den Kelch, doch Learto und Struggel waren zu weit entfernt, um sie davon abzuhalten. “Ewige Jugend!”, schrie Kardia und leerte den Trank in einem Zug.

Eine golden schimmernde Flüssigkeit rann ihr über das Kinn und tropfte zu Boden. Selbstbewusst schleuderte sie das bronzene Gefäß von sich. Es zertepperte einige herumstehende Kolben und fand schließlich eine Mulde im Boden, in der es langsam hin- und herrollte und die letzten Tropfen flüssigen Goldes preisgab.

Nun verstanden sowohl Struggel als auch Learto, was geschehen war. Das Gold war gar nicht ausgeblieben. Kardia hatte es gestohlen! Ein flüchtiger Blick nach hinten zeigte die Umrisse einer großen Apparatur, mit der die Harfenspielerin es offenbar aus dem unterirdischen Bach gefiltert hatte.

Mit den Fingerkuppen wischte Kardia die Reste des Tranks von ihren Lippen. Dann begutachtete sie ihre Hände, in der Erwartung, dass die Haut glatt und rosa würde, die Altersflecken verschwänden und die Finger wieder zart und feingliedrig würden. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Haut wurde spröde und platzte auf. Blutige Risse bildeten sich, auch auf ihren Armen und im Gesicht, begleitet von einem Geräusch wie zerknülltes Pergament. Auch ihre Augen wurden stumpf, und während ihre Lippen nach innen sanken, traten ihre Knochen nach außen. Geschwüre bildeten sich an ihrem Hals, und ein Buckel zwang sie erbarmungslos aus ihrer aufrechten Haltung.

Als die Verwandlung abgeschlossen war und sie die gelblichen Krallen an ihren gichtbefallenen Händen sah, hallte ein gellender Schrei durch die Höhle. Mit einer einzigen Handbewegung fegte sie den riesigen Kessel vom Dreibein, so dass er in Struggels Richtung polterte. Der Trosh sah das schwere Gußeisen auf sich zurollen und sprang im letzten Augenblick zur Seite. Hinter ihm zerschmetterte der Kessel einen Holztisch in tausend Teile.

Learto bemühte seine letzten Kraftreserven und stürmte mit erhobenem Hammer vor. “Stirb, Elende!”, rief er und hob zu einem großen Schlag an, doch die Kreatur, zu der Kardia geworden war, fing seinen Arm mit dem ihren ab. Mit der Kraft eines Ghuls zwang sie ihm den Hammer aus der Hand und schleuderte den Schmied nach hinten. Wie eine Puppe flog er, der an die hundert Stein wog, durch die Luft und krachte in ein Wandregal. Tiegel mit Pulver zerbarsten und hüllten ihn in eine rosafarbene Wolke.

Als sie sich Struggel zuwandte, pustete dieser so fest er konnte. Die Sturmböe, die er dadurch erzeugte, fegte sogar Tische an die Wand, doch Kardias Körper stellte sich mit übermenschlicher Kraft dagegen. Mit zwei großen Schritten war sie bei ihm und drückte ihm die Kehle zu. Heiser zischte sie ihm ins Gesicht: “Das ist Eure Schuld. Ihr habt den Trank verdorben. Ihr… Ihr…”

Alles begann sich vor seinen Augen zu drehen, auch Learto, der sich aus dem Staub befreite und hustend nach seinem Hammer tastete. Doch die Kreatur, so viel war gewiss, war mit Waffen nicht zu verletzen. Hilflos strampelte der Trosh in ihrem Griff, und während er in ihre stierenden Augen blickte und die letzte Luft aus seinen Lungen wich, hauchte er: “Lyreya…”

Es war das erste Mal, dass Struggel den Namen der Göttin in den Mund nahm.

Da wusste Learto plötzlich: Lyreya war die Lösung! Die Göttin hatte Kardia ob ihres Frevels zu ihrem genauen Gegenteil verkehrt. Das Gold hatte sie altern und hässlich werden lassen, anstatt ihr Jugend und Schönheit wiederzugeben. Wenn alles genau verkehrt war, dann…

Eilig holte er unter seinem Hemd die kleine hölzerne Flöte hervor, die Struggel verschmäht hatte, und setzte sie an seine Lippen. Der Trosh verlor indessen das Bewusstsein und sank mit geschlossenen Augen in Kardias Klauen zusammen. Learto legte die Finger an die Flöte, wie sein Bruder es immer getan hatte, und er blies sanft, nicht fest. Learto hatte nie die Geduld besessen, der Flöte saubere Töne zu entlocken, doch hier und jetzt musste er es schaffen. Er musste, oder sie beide würden diese Kaverne nicht lebend verlassen! Seine rechte Hand zitterte, und sein Atem ging so unregelmäßig, dass der Ton beinahe in sich zusammen fiel. Doch schließlich drang er voll und rund aus der Flöte und schwoll in der Höhle zu einer Lautstärke an, die sich mühelos gegen das unterschwellige Rauschen durchsetzte.

Wie von einem Hieb getroffen ließ Kardia den Trosh fallen und wirbelte herum.

Learto setzte die Finger anders und blies erneut. Ein weiterer Ton pfiff heraus, zunächst schwanger von Atemluft, doch dann verschloss Learto die Löcher besser, und der Ton vereinigte sich sauber mit dem Hall des letzten. Kardias deformierter Körper hielt sich die Ohren zu.

Learto arrangierte die Finger um und hob zu einem dritten Ton an. Als dieser erklang, wand sich Kardia bereits vor Schmerzen am Boden. Die Musik, die einst ihr Leben war, bedeutete nun ihren Tod. Learto schaffte es noch, der Flöte einen vierten und auch einen fünften Ton zu entlocken, bis Kardias verunstaltete Hülle sich in letzten Zuckungen am Boden wand und erstarb.

Als ihr unseliges Keuchen nicht mehr zu hören war, kroch Learto zu Struggel und stellte erleichtert fest, dass er, wenn auch schwach, atmete.

Er verdammte die Harfenspielerin und ihr Hexenwerk lauthals und zertrümmerte vor Wut einige alchemistische Apparaturen, bevor er sich Struggel auf den Rücken lud, sich mit einem lauten Stöhnen auf die Beine hievte und nach draußen wankte.

Dies war eines der 20 Kapitel der Fantasy-Geschichte Goldfall, die im Rahmen dieses Blogs veröffentlicht wird. Lies morgen im nächsten Blogpost, wie die Geschichte weitergeht!

Goldfall – Kapitel 18: Späte Erinnerung

Es war noch nachts gewesen, als Struggel erneut die Harfe gehört hatte – als würde sie ihn rufen.

Learto schlief noch tief und fest und ließ sich nicht wecken, also schlüpfte der Trosh hastig in sein Übergewand und zappelte nach draußen. Ein kühler Wind wehte über den Dorfplatz und trug eine sich wiederholende Melodie an sein Ohr. Anders als die Nacht zuvor, war der Klang jedoch dünn und fein und gerade laut genug, um ihn neugierig zu machen.

Die Musik ertönte von oberhalb des Wasserfalls, daher zögerte er nicht lange und lief zur Goldfall-Promenade. Auf dem Weg sah er in das Gesicht eines Mädchens, dessen spitze Nase unter einem Kapuzenumhang hervorlugte. Sie kam ihm vage bekannt vor…

Oberhalb des Wasserfalls fand er die Quelle der Melodie: Kardia stand da, in einen wollenen Mantel gekleidet, mit einem langen Schal, der ihren faltigen Hals vor der Kälte schützte. Als sie ihn sah, ließ sie eine kleine Handharfe aus einer knöchrigen Hand in ihren Gürtel gleiten.

“Sieh an, auch Trosh vermögen der Macht der Musik nicht zu widerstehen. Vor allem, wenn sie Sklaven ihrer eigenen Neugierde sind.”

Reißer lag ihr zu Füßen, doch nun erhob er sich und schlich wie ein lauerndes Raubtier um ihn herum. Zu spät erkannte Struggel, dass er sich Kardia ausgeliefert hatte.

“Kommt näher!”, befahl sie, und Struggel spürte Reißers Schnauze in seinem Rücken.

“Euer Spiel wird nicht unentdeckt bleiben, Harfenspielerin. Ich habe Euch durchschaut, und wenn mir etwas Schlimmes widerfährt, wird mein Freund Learto Euch zur Rechenschaft ziehen.”

Kardia warf den Kopf in den Nacken und lachte. “Ihr wollt mir drohen? Seid nicht närrisch, kleiner Trosh. Niemand hier wagt es, auch nur ein schlechtes Wort über mich zu verlieren. Ich bin Mitglied des Dorfrates seit mehr Jahren als ihr auf dieser Welt seid. Ich bin ein respektiertes Mitglied dieser Gemeinde und über jeden Zweifel erhaben. Ich habe das Talent des Harfenspiels von der Göttin selbst erhalten, und Ihr würdet staunen, welche Macht damit einher geht…”

Struggel schwitzte, während er Reißers Druck weiter nachgab und sich langsam Kardia näherte. “Das ist also Euer Verbrechen! Ihr missbraucht Eure Gabe und lästert auf diese Weise der Göttin. Darum blieb das Wunder aus. Euretwegen, nicht meinetwegen!”

Kardia kicherte amüsiert. “Habt Ihr Euch tatsächlich so wichtig genommen, dass Ihr glaubtet, das Wunder von Goldfall wäre Euretwegen ausgeblieben? Wegen eines kleinen, unbedeutenden Gnomes?? Ihr überschätzt Euch maßlos, Struggel vom Volk der Trosh, und das ist auch der Grund, weshalb Eure Neugierde hier und jetzt ein Ende finden wird. Tragischerweise werdet Ihr nie erfahren, worum es hier wirklich geht.”

Struggel blickte sich hilfesuchend um. “Was habt Ihr vor? Was habt Ihr vor??” Da spürte er, wie Reißers Kopf sich unter seinen Hosenboden schob und ihn mit einem kraftvollen Ruck nach oben katapultierte. Während sich alles um ihn drehte und sein Körper über die Absperrung fiel, schrie er und schaffte es gerade noch, sich mit einer Hand am Seil festzuhalten.

Dies war eines der 20 Kapitel der Fantasy-Geschichte Goldfall, die im Rahmen dieses Blogs veröffentlicht wird. Lies morgen im nächsten Blogpost, wie die Geschichte weitergeht!