[DSP#04] Zwei Schritt vor, einer zurück

Ich selbst bin sowohl als Spieler als auch als SL oft hin- und hergerissen zwischen meinen Bedürfnissen nach Einfachheit und nach Komplexität. Dementsprechend versuchen auch meine Spiele, einfach und intuitiv zu sein, aber auch eine gewisse Tiefe aufzuweisen, die sich den Spielern bei näherer Auseinandersetzung erschließt.

Nun, da ich mich im Science Fiction-Genre bewege, spüre ich plötzlich, dass der Wunsch nach Komplexität größer wird. Offenbar gibt es – “System does matter” – eine Korrelation zwischen Technologieniveau im Setting und Komplexität des Spiels. Ich habe plötzlich das Bedürfnis, verschiedene Arten von Geschützen zu definieren, Schiffstuning zu ermöglichen und ein kleines Handelssystem auszubaldowern, über das die Charaktere – wenn sie es wollen – Profit machen können.

Natürlich muss ich höllisch aufpassen, mich nicht auf Kosten der Einfachheit in Details zu verlieren. So habe ich in den letzten Wochen etliche Regeln verändert, eingedampft, neu gemacht oder gekübelt – ganz nach dem Motto “Zwei Schritt vor, einer zurück”. Das ist nicht immer leicht, weil man sich als Systemdesigner nur allzu leicht in eine seiner Regeln verliebt, aber es ist notwendig.

Ein zusätzlicher Verdauungsausgang oder: Rassen-Feats in Destiny Space

Rassenfähigkeiten. Die waren schon bei Destiny Dungeon eine harte Nuss. Nun aber möchte ich für die ziemlich unorthodoxen Rassen in Destiny Space, die ich demnächst hier vorstellen werde, jeweils eine Fähigkeit einführen, die man um 1 Destiny-Punkt triggern kann, und zwar mit einem sicheren Erfolg á la Rassenfähigkeiten in Destiny Dungeon. Zweck soll sein:

  • Jede Rassenfähigkeit soll die Besonderheiten widerspiegeln, die die jeweilige Rasse im Kontext des Settings besitzt. Beispiel: Die Zulka haben 4 Augen, daher soll auch die Fähigkeit etwas mit diesen 4 Augen zu tun haben.
  • Die Fähigkeit soll fördern, Charaktermerkmale der jeweiligen Rasse auszuspielen. Beispiel: Die Mlendosianer sind friedfertig, daher sollte ihre Fähigkeit auch zur konfliktarmen Problemlösung dienen.
  • Die Fähigkeit soll helfen, Spotlights zu schaffen bzw. auszunützen. Beispiel: Die Irlithaner haben eine starke Panzerung, aber reicht es, dass sie damit Schadenspunkte negieren? Das allein schafft kein Spotlight.
  • Die Fähigkeit soll halbwegs aktiv ins Spiel zu bringen sein.

Und jetzt sind wir schon bei meinem großen Problem. Fähigkeiten sollen cool sein, aber v.a. sollen sie jederzeit (na gut, meiste Zeit) vom Spieler ins Spiel gebracht werden können. Beim Nachdenken über die oben erwähnten Zulka mit ihren 4 Augen stehe ich nun vor der Schwierigkeit, dass so ziemlich alles, was mit Wahrnehmung zu tun hat, reaktiv ist, d.h. nicht bewusst vom Spieler ins Spiel gebracht werden kann:

Gefahreninstinkt – bäh. Etwas rechtzeitig kommen sehen – bäh. Nicht überrascht werden können – bäh. Das Gras wachsen sehen – bäh. Alles schärfer sehen – bäh. Tiefenschärfe, Rundumblick, zwei Bücher gleichzeitig lesen – alles bäh.

Am liebsten würde ich den Zulka mittlerweile die Augen wieder wegnehmen und ihnen dafür einen zusätzlichen Verdauungsausgang verpassen. Das wäre zumindest nicht reaktiv. Also, wenn mir jemand das Leben erleichtern möchte und eine gute Idee für eine nicht-reaktive Fähigkeit im Zusammenhang mit 4 Augen hat (2 normale, 2 in Ohrennähe), wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, diese loszuwerden, bevor mit den Zulka etwas ganz Schlimmes passiert…

Man kann nicht alles “trocken” designen

Manche Dinge lassen sich nicht auf dem Reißbrett konstruieren. Ein Rollenspiel ist ein Zusammenwirken verschiedenster Faktoren: Wahrscheinlichkeiten, Psychodynamik, Zielgruppe, Atmosphäre, Vision, Assoziationen – da spielt einiges hinein. Um so mehr wundere ich mich über manche Spiele, die den Anschein erwecken, als wären sie auf dem Reißbrett gezeichnet, aber nie getestet worden… aber dazu ein anderes Mal.

Gerade eben, im Diskurs zu Destiny Space mit meinem Co-Autor bei diesem Projekt, bin ich an einen Punkt gestoßen, der sich einfach nicht im Vorhinein abschätzen lässt. Da hilft oft nur Ausprobieren, Testen, Feedback einholen. Ich stell euch diesen Auszug aus einem e-mail von mir an ihn zur Verfügung, weil er auch ganz gut widerspiegelt, wie ich beim Design einzelner Regeln denke und mir selbst (und in diesem Fall auch anderen) gegenüber argumentiere.

>>Hast du geplant mehrere “Positionen” im Schiff zu haben die die Spieler besetzen können und dann je nach Position Aktionen ausführen? Oder eine spezielle Position nur für den Piloten?

>[...] Wenn mehrere SCs am Schiff Positionen besetzen, können sie jeweils Proben würfeln, und es zählt dann pro Sternenkampfrunde die beste Probe. Dem Piloten würde ich aber insofern die Schlüsselrolle geben, als nur wenn seine Probe gelingt, die anderen optimieren können. Wenn der Pilot das Manöver schon grundsätzlich vergeigt, dann können auch geniale Funksprüche und TechRoom-Tuning nichts bewirken. (Außer vielleicht mit Destiny-Punkten). Darüber habe ich viel nachgedacht, aber es scheint mir am Sinnvollsten so zu sein. Alles andere würde zum Paradoxon führen, dass ein Schiff keinen guten Piloten braucht, wenn nur 2-3 “other crew”-Maxln vorhanden sind, die mit ihren Würfen statistisch dann schon fast immer zum Erfolg kämen. Ergo muss mal dem Piloten die Probe gelingen, und die anderen haben dann “nur” noch Optimierungsmöglichkeit. Keine Ahnung, ob das ein guter Ansatz ist. Kann natürlich sein, dass das im Spiel dazu führt, dass die Optimierung nur selten durchschlägt und die Proben für A und F gewürfelt werden. Das ist noch nicht abzusehen und wird der Test zeigen. Als Plan B hätte ich dann noch die Möglichkeit, den EW des Piloten zu modifizieren. Ein Modifier, also ein +1 pro weitere gelungene Probe (oder so) wirkt sich in jedem Fall aus, kann aber dazu führen, dass das Gleichgewicht kippt und Schiffe, die mit “orchestrierter Besatzung” gesegnet sind, überproportional gute Chancen gegen ihre “Ein-Mann-Schiff”-Gegner haben. Das ist eine Balancing-Frage, die im Vorhinein schwer abzusehen ist; da würde ich mal die ersten Tests abwarten.

 

Und genau auf diese freue ich mich schon sehr. Erfahrungsgemäß dreht sich nach den ersten Tests noch vieles um. Aber es ist immer gut, einen Plan B oder sogar Plan C für eine Regel zu haben, sonst ist alles zu sehr im Fluss, und die einzelnen Elemente passen am Ende nicht mehr zu einander.