MR#11 Abenteuertypen: Das ortsgebundene Abenteuer

Letztes Mal habe ich versucht, das erzählerische Abenteuer als Abenteuer-Typ herauszuarbeiten. Heute widme ich mich seinem Gegenstück:

Typ 2: Das ortsgebundene Abenteuer

Dem ortsgebundenen Abenteuer liegt kein Handlungsverlauf zu Grunde, sondern eine Zahl ausgearbeiteter Örtlichkeiten. Wähle ich so ein Abenteuer, dann geht es mir um Entscheidungs- und Handlungsfreiraum für die Spieler. Die SCs sollen (im Rahmen des Abenteuers) gehen können, wohin sie wollen, wann sie wollen, warum sie wollen. In seiner reinsten Ausprägung – bei Kampagnen spricht man von “Sandbox” – gibt es auch keinerlei vordefinierte Ereignisse oder Ereignisketten.

“Undrama”. Die größte Gefahr, die ich sehe, ist, dass sich diese Art Abenteuer sehr undramatisch entwickeln kann. Meine Möglichkeiten als SL, dramatische Elemente wie Plotwendungen und dichte Spannungsbögen einzubauen, aber auch das Pacing zu steuern, sind minimal. Das System verhält sich eher reaktiv, und der Verlauf folgt ausschließlich den Bewegungen und Handlungen der SCs.

Natürlich kann man auch das ortsgebundene Abenteuer so stricken, dass die SCs die Örtlichkeiten erst recht wieder in einer bestimmten Reihenfolge abklappern müssen (Adventure-Prinzip: Finde den silbernen Schlüssel und sperre damit die silberne Tür auf). Dadurch kann man ein Drama fingieren, aber man entfernt sich gleichzeitig von dem, was ein ortsgebundenes Abenteuer eigentlich an Reiz ausmacht und halst sich dafür auch noch die Probleme des erzählerischen Abenteuers auf…

Vorbereitungsaufwand. Da ich als SL nicht wissen kann, wohin die SCs wandern und welche Aufhänger sie aufgreifen, ist die Chance hoch, dass ich viel mehr Inhalt vorbereite, als die Spieler letztlich im Abenteuer ausreizen. Durch diesen Mehraufwand ist das Schreiben eines ortsgebundenen Abenteuers für die eigene Runde oftmals unökonomisch.

Spielerverantwortung. Ich halte das ortsgebundene Abenteuer in seiner reinen Form für das (aus Sicht der Spieler) Schwierigste und auch Lohnendste. Denn hier werden Örtlichkeiten und Mechanismen definiert, ohne auf den bisherigen Verlauf Bezug zu nehmen. Das hat irgendwie etwas Faires, Unparteiisches, Herausforderndes. Wenn hinter der schweren Steintür der grausame Schattendämon wartet, dann ist das eben so, auch wenn es die erste Tür sein sollte, die die SCs öffnen. Insgesamt verschiebt sich die Verantwortung stark in Richtung Spieler – wohl ein Nebeneffekt des Freiraums, den der SL übrigens hinlänglich gewähren muss, wenn diese Sorte Abenteuer funktionieren soll.

Das ortsgebundene Abenteuer ist nicht umsonst typisch “Old-School”. Früher waren viele Abenteuer nach diesem Schema aufgebaut, sogar einige der ersten DSA-Abenteuer. Auf mich üben diese Abenteuer immer noch einen starken Reiz aus, und als Spieler mag ich sie hin und wieder sehr gerne. Als SL und Autor bevorzuge ich aber Mischformen (außer in Destiny Dungeon, wo altmodisch-Sein ja irgendwie die Vorgabe war).

DD#52 Die Szenarien sind schuld. Aber warum eigentlich?

Der Hauptgrund für die Verspätung des Destiny Dungeon Releases sind die Szenarien, die deutlich größer und umfangreicher ausfallen als erwartet. Ich wurde schon öfters gefragt, warum ich darauf solchen Wert lege, wo doch das eigentliche Produkt “nur ein Regelwerk” sei und ein solches auch mit 1-2 Beispielabenteuern auskäme. Ich möchte darauf antworten, indem ich erläutere, welche Bedeutung die Szenarien für meine Vision haben.

Destiny Dungeon entstand nicht, weil Old-school gerade “in” ist, sondern weil ich mir damit einen Traum erfüllen wollte. Ich wollte eine Campaign schaffen, in der die Spieler die absolute Handlungsfreiheit haben und die Handlung ebenso stark von den Spielern wie vom SL ausgeht. Das Um und Auf einer solchen proaktiven Kampagne ist, dass Spieler und SL Informationen haben. Sollen die Spieler das Gefühl der völligen Freiheit bekommen, dann muss der SL auch bereit sein, sie “überall” hinzulassen. Und das geht nur, wenn er über “überall” Informationen besitzt. Andernfalls entsteht zwangsläufig die Tendenz, die Charaktere zu vertrauten oder beschriebenen “hot spots” zu schieben. Dieser “Magnetismus des Vorgefertigten” ist natürlich immer gegeben, denn man kann nicht für jeden Weiher und jeden Hügel ein Abenteuer ausarbeiten, aber das Spielgefühl entsteht nur dann, wenn eine kritische Masse an Örtlichkeiten in der Welt ausgearbeitet ist.

Soweit zur Quantität. Es gibt aber auch qualitative Kriterien, die mir wichtig waren:

  • Unmittelbare Verwendbarkeit. Die Szenarien sind keine Aufhänger oder inspirierten Beschreibungen, die letztendlich wieder dem SL den Task umhängen, sich Abenteuerliches auszudenken, sondern so detailliert ausgearbeitet, dass man damit unmittelbar ins Abenteuer gehen kann. Teilweise sogar bis auf die Ebene der Spieltechnik hinunter, damit der SL gleich eine Idee bekommt, wie Destiny Dungeon funktioniert (wieviel Schaden, welche Proben usw.).
  • Kompaktheit. Alle Szenarien sind kompakt dargestellt (2-3 Seiten), damit sich der SL schnell (ca. 5 Minuten) einen Überblick verschaffen kann. Alles andere wäre in einer Sandbox ziemlich witzlos.
  • Viele Missionen pro Szenario. Möglicherweise dringen die SCs in Morkanthors Labyrinth ein, um seinen schwarzen Stein zu finden, vielleicht geht es ihnen darum, einen der Hor-Gläubigen aus seiner Sekte zu befreien, vielleicht durchqueren sie das Labyrinth, um zum Tempel des Goldenen Lichts zu gelangen, oder einfach nur um Monster zu schnetzeln und Schätze zu heben. Jedem Szenario kann man sich aus unterschiedlichsten Motivationen heraus nähern.
  • Keine getriggerten Ereignisse. Bis auf 1 oder 2 Ausnahmen sind die Szenarien handlungsneutral, d.h. es sind Beschreibungen von Orten und NSCs und deren Motivation, aber keine Ereignisse, die zufällig stattfinden, weil die SCs in der Gegend sind. Einen “dramatischen Überbau” (Prolog, Wendepunkte, definiertes Finale, Epilog) gibt es daher auch nicht, eben weil die Szenarien aus vielerlei Motivationen heraus spielbar sein sollen.
  • Unabhängige Szenarien. Die Szenarien können völlig unabhängig von einander gespielt werden, es gibt keine logische Reihenfolge – zumindest keine zwingende. Viel öfter ist es so, dass ein Artefakt oder eine Information aus Szenario A das Lösen von Szenario B erheblich erleichtert. So können die SCs z.B. im Wall der 1000 Höhlen Haguls Zauberkompass finden und tun sich damit in der magischen Matrix der Seufzenden Ebene wesentlich leichter.
  • Lebende Welt-Konzept. Berührungen mit der Welt sind so eingewoben, dass sie keinen Metaplot bilden, aber gravierende Auswirkungen haben können. Wenn die SCs den alten Elfenkönig Tasyuncar aus seinem Säulenkreis befreien, schwächt dies die Limisjünger und stärkt die Elfen des Neuen Weges. Sind die Limisjünger geschwächt, so fehlt es ihnen vielleicht an Mitteln und Wegen, Mavith mit ihrer Magie jung zu halten, was sich wiederum auf dessen Handlungen auswirkt und ihn womöglich aus seinem sicheren Versteck zwingt. Die Spieler können also einen Unterschied machen, wenn sie es drauf anlegen.

Destiny Dungeon wird 21 Szenarien (eines davon dankenswerterweise von Moritz Mehlem) enthalten (möglicherweise 22, denn ich arbeite gerade noch an einem Einführungsabenteuer), und es sollte wirklich für jeden etwas dabei sein. Wer mag, kann mit Hilfe der verbindenden Elemente einen Metaplot stricken, wer gerne schnetzelt, kann auch das tun. Es gibt Dungeons, Rätsel, Hex-Felder zu erkunden, es gibt soziales Rollenspiel, es gibt einen spürbaren Konnex zum Setting, der eine relativ starke Immersion ermöglichen sollte, und das alles in einem (mittlerweile 156-seitigen) Buch. Ich gestehe, ich bin selbst überrascht und überwältigt, welche Dimensionen Destiny Dungeon angenommen hat. Aber mit weniger hätte ich diesen Traum nicht verwirklichen können.

DD#38 Querverbindungen

Während ich gerade an den Szenarien werke (Feuerwasser-See, Elfenmoor und Wall der 1000 Höhlen sind schon so gut wie fertig), wird mir wieder bewusst, wie wichtig Querverbindungen für ein funktionierendes Setting sind. Damit die Spieler das Gefühl haben, in einer konsistenten, zusammenhängenden Welt zu spielen – und das ist im Falle Istareas mein erklärter Anspruch – ist es unerlässlich, dass die Elemente nicht nur für sich funktionieren, sondern auch mit einander in Verbindung stehen.

Wie möchte ich das erreichen bzw. forcieren:

  • Ich bastle an einer Gerüchte-Tabelle. Da kann sich der Spielleiter schon vor dem Abenteuer ein Faktum oder einen Hinweis heraussuchen, den er den Spielern bei entsprechender Gelegenheit unterjubelt. Es kann also gut sein, dass man in Iphanir in der Taverne hört, dass das Holz des Trollkönigs feuerfest ist, was sich irgendwann einmal rentiert, wenn die SCs mit einem Schiff den Feuerwasser-See befahren müssen.
  • Ich verstecke in jedem Szenario einen Gegenstand oder Hinweis, der in einem anderen Szenario hilfreich ist. Ob hilfreich oder unerlässlich überlasse ich dem Spielleiter – ich möchte das Korsett nicht zu eng schnallen. Wenn der SL meint, eine Kampagne draus zu machen, dass die SCs zuerst Haguls Zauberkompass im Wall der 1000 Höhlen finden müssen, um damit anschließend in die magische Matrix der Seufzenden Ebene zu gehen, wunderbar. Wenn nicht, bricht das Szenario-Gefüge auch nicht zusammen.
  • Ich baue möglichst viele Teilaufgaben ein. Es muss nicht Sinn eines jeden Szenarios sein, den ultimativen “Schatz” (im weitesten Sinn) zu lukrieren; oft reicht es auch schon, die Peripherie zu erkunden und den einen oder anderen exotischen Gegenstand zu erbeuten. Im Szenario Feuerwasser-See z.B. kann man auf dem See bereits einen Feuerlotos bergen, ohne das andere Ufer zu erreichen und in die Anlage des Magiers einzudringen. Der Feuerlotos kann für sich genommen bereits ein Ding darstellen, das in einem anderen Szenario gebraucht wird, und ist nicht darauf beschränkt, im selben Szenario eine vorbestimmte Rolle zu spielen. Mit 1:1-Schlüssel-Schloss-Mechanismen halte ich mich eher zurück; die Lösungen sollen (zumindest mehrheitlich) auf mehreren Wegen erreichbar sein.
  • Ich versuche NSCs einzuführen, die schon in der Vergangenheit eine Spur durch Istarea gezogen haben. Mit der Absicht, einen Konnex zwischen scheinbar unabhängigen Szenarien zu schaffen, der die Spieler neugierig macht. (“Mathander der Reisende? Haben wir von dem nicht schon gehört? Wo war das denn gleich? Hm, warum war der vorher hier?”)
  • Eine vergleichsweise billige Maßnahme: Ich habe sämtliche Örtlichkeiten und Siedlungen in einer Tabelle eingefangen, auf die der SL würfeln kann, um relevante Positionen zu bestimmen. Er kann damit meine Vorgaben, die ich in den Szenarien treffe, ergänzen oder zu Gunsten des Zufalls overrulen und sich damit gewissermaßen auch selbst überraschen lassen. Wenn also der böse Magier meint, er müsse aus Rache die Taverne an einen möglichst fernen Ort teleportieren, kann der SL sich selbst überraschen lassen und schauen, wo sie denn landet.

Querverbindungen zu schaffen macht das Ersinnen von Szenarien nicht unbedingt leichter. Methodisch betrachtet bedingt es ein ständiges Hin- und Herspringen. Ich füge Elemente ein, reiße sie wieder raus, setze sie an einen anderen Ort, ergänze hier ein Gerücht oder dort ein Artefakt und so weiter. Dabei beschreite ich den schmalen Grat zwischen zu vermeidender Schnitzeljagd und gut gemeinter, aber letztlich überflüssiger Optionalität.

Auch wenn es sich ein bisschen wie “2 Schritte vor, 1 Schritt zurück” anfühlt – ich kriege dabei unheimlich Lust, mein eigenes Setting zu bespielen!