MR#19 Der W20 als Wurfgeschoß…

Den letzten Artikel meiner Meta-Rollenspiel-Serie möchte ich dem Thema Konflikte im Rollenspiel widmen. Ich hatte das Thema ja bereits im Themenspeicher, und ein aktueller Thread im Tanelorn hat mich nun noch zusätzlich inspiriert, meine Gedanken dazu zu ordnen und in 3 Thesen zum Besten zu geben.

1. Gemeinsames Rollenspiel ist ein Reibungspunkt. Es beginnt damit, dass es für die meisten Gruppen/Kampagnen wichtig ist, dass alle anwesend sind. Die Folge: lästiges Terminkoordinieren zwischen 5-6 Spielern ist keine seltene Herausforderung. Dann auch noch der ungleiche Vorbereitungsaufwand zwischen Spielern und Spielleiter: Wenn einer leiten will, der andere nicht, der eine sich das aber erwartet usw. Und da bin ich noch gar nicht beim eigentlichen Rollenspiel, wo man dann “in character” auch noch Meinungsverschiedenheiten ausspielen und lösen muss (Elfen vs. Zwerge, Diebe vs. Priester…) oder seine liebe Not mit dem Spielstil des SL hat, der ja doch prägend für das Gesamterlebnis ist und wo man weniger bereit ist, Kompromisse zu schließen als wenn einem nur das Nasenbohren des linken Nachbarn auf den Wecker fällt.

2. Gemeinsames Rollenspiel ist ein Katalysator. Vielleicht ist das nur eine Konsequenz aus 1., aber ich habe so ein bisschen den Verdacht, dass Rollenspiel gute wie schlechte Beziehungen im Positiven bzw. im Negativen verstärkt. Ein Grund dafür könnte sein, dass es leicht fällt, sich im Rollenspiel “hinter dem Charakter zu verstecken” und da z.B. Konflikte vom Zaun zu brechen, für die es auf normaler Ebene keine konkrete Zündung, sehr wohl aber einiges an Sprengstoff gäbe. Ein anderer Grund könnte sein, dass die meisten Rollenspieler dieses Hobby überaus hoch wertschätzen und da besonders sensibel auf Diskrepanzen reagieren.

3. Rollenspiel ist oft gar nicht der Punkt. Aber das Spiel bietet selbst auch Vorwand für Kritik – und die hat oft nur vordergründig mit dem Rollenspiel zu tun. So kann ich den SL wegen seines Spielleitungs-Stils kritisieren, obwohl mich in Wahrheit seine rechthaberische Art immer schon gestört hat. Oder ich ärgere mich über das “schlechte, unmotivierte Rollenspiel” eines anderen Spielers, beziehe mich damit aber in Wahrheit auf seine Art, Dinge einfach nicht ernst genug zu nehmen. Oder ich streite über das XP-Vergabesystem, ärgere mich in Wahrheit aber darüber, dass der Spielleiter mit dem Mitspieler rechts von mir besser befreundet ist und ihn bevorzugt. Kurz gesagt: Ich könnte mir vorstellen, dass oft über das Rollenspiel geredet und gestritten wird, in Wahrheit aber tiefer liegende Belange gemeint sind.

Spezifische Lösungsansätze gibt es ohnehin keine. Es gibt nur dieselben Regeln, die auch abseits des Rollenspiels für Konfliktbewältigung gelten: Missstände offen ansprechen, Kritik wertschätzend äußern, Ich-Botschaften, Grenzen setzen etc. Ich beende die Aufzählung, immerhin wollen die Autorenkollegen aus dem Bereich Ratgeber-Bücher ja auch noch ihr Geld verdienen.

Ist das nun alles ein Grund, sich zu überlegen, ob man sich so ein menschelndes Hobby überhaupt antun sollte? Ich sehe gerade darin den Mehrwert! Wer die Gelegenheit nutzt, kann beim Rollenspiel vieles über Menschen lernen, auch und vor allem über sich selbst. Was für ein großartiges Bonusmaterial!

Gemeinsames Rollenspiel ist ein Reibungspunkt

MR#12 Abenteuertypen: Das interaktions-getriebene Abenteuer

Für diejenigen, die erst jetzt hinzu gestoßen sind: Ich versuche gerade einige grundlegende Abenteuertypen, ihre Struktur und ihre Vor- und Nachteile herauszuarbeiten. Bisher hatten wir 1. das erzählerische und 2. das ortsgebundene Abenteuer. Jetzt kommt

Typ 3: Das interaktions-getriebene Abenteuer

Dieser sperrige Begriff meint jene Art von Abenteuer, in der sich der Verlauf fast ausschließlich über eine bestimmte Zahl von Parteien (Fraktionen, Beteiligte, Fronten o.ä.) und deren Interaktion mit einander ergibt. Der Fokus liegt hier im Verkörpern und Eintauchen in gewisse Rollen und in der Auseinandersetzung mit NSCs, seien sie Verbündete, Rivalen, neutrale Auskunftspersonen oder Feinde.

Explosive Dynamik. Der Vorteil dieses Abenteuertyps liegt darin, dass sich aus den verschiedenen Parteien, zu denen auch die SCs zählen, ein sehr dynamisches Geflecht ergeben kann. Der SL kann ständig die eine oder andere Partei ins Spiel bringen, reagieren und interagieren lassen und auch dadurch Pacing steuern und Drama schaffen. Der Haken an der Sache ist: Der SL braucht verdammt gute Skills und/oder Erfahrung, und er muss ständig geistig präsent sein. Gefordert ist er einerseits deshalb, weil der größte Teil des Abenteuers auf Improvisation beruht und damit die Gefahr eines Regiefehlers groß ist. Andererseits weil die Dynamik leicht aus dem Ruder laufen und das Abenteuer zu schwer, zu leicht oder unschaffbar werden kann. Besonders gefährlich: Der SL lässt NSCs aus seinem Wissensstand heraus handeln und planen – äußerst unfair gegenüber den SCs.

Motivation. Motivation ist alles, v.a. in diesem Abenteuertypus. Damit das Konzept funktioniert, muss der SL natürlich wissen, was seine NSCs erreichen wollen. Wer NSCs für diesen Typ Abenteuer erfindet, darf daher auf keinen Fall vergessen, ihre Ziele zu definieren. Das ist in wenigen Worten kaum machbar. Dafür benötige ich als SL einen gewissen Detailgrad an Information. Die von mir häufig praktizierten “2 Attribute pro NSC” reichen vielleicht für andere Abenteuertypen, aber nicht für diesen.

Die richtigen Spieler. Alles ist eine Frage des Geschmacks, aber dieser Typus Abenteuer ist ganz besonders prädestiniert, bei der falschen Spielergruppe zu scheitern. Sind die Spieler zu rezeptiv, werden sie von der Dynamik überrollt. Sind sie zu planlos, fühlen sich die NSCs nicht herausgefordert und warten einfach ab (klassisches Problem bei Detektivabenteuern). Ich behaupte mal frei in den Äther hinein, dass es für dieses Abenteuer einigermaßen selbstbewusste, proaktive Spieler braucht, die zudem Spaß daran haben, Rollen zu verkörpern und mit NSCs in Wechselwirkung zu treten. Wer NSCs schon grundsätzlich misstraut und die Schankmagd lieber meidet, weil sie könnte ja eine Spionin sein, der wird sich in diesem Geflecht unwohl fühlen.

Ich persönlich habe nur wenige Abenteuer dieses Typus erlebt, die wirklich gut waren, aber dafür waren es die genialsten, die ich je gespielt habe.

MR#07 Charakterkonzept (Teil 1)

Die diversen Gedanken zum Thema “Indie-Spiele” waren so interessant, dass ich dem Artikel etwas Zeit gelassen habe. Nun aber wieder ein neues Thema: Charakterkonzept.

Charakter- vs. Kampagnenkonzept. In einer idealen Welt sind Charakter- und Kampagnenkonzept mit einander verzahnt, d.h. das Skillset der SCs passt zu den Herausforderungen, und der Plot bezieht ihre Backstory mit ein. Doch was kommt zuerst? Dieses Henne-Ei-Problem lässt sich eigentlich nur durch iterativen Abgleich entschärfen, d.h. der SL legt mal das Thema aus (“wir spielen Karawane in der Wüste”), die Spieler suchen dann passende Völker und Klassen (“Berukhani-Barbar” und “Ahatralun-Händler”). In der nächsten Runde gibt der SL mehr Details bekannt (“der Großteil wird Exploration sein, ca. jedes 3. Abenteuer wird in einer Oase spielen”) und die Spieler feilen dementsprechend am Charakterkonzept und -profil. In der letzten Iteration liegen dann Details wie “Der alte Auftraggeber namens Harid al Quaras ist todkrank”, worauf ein Spieler reagieren könnte, indem er dessen Sohn, Neffen oder Bruder verkörpert etc. Problematisch ist in dieser Hinsicht also nur die Überraschungskampagne, bei der die Spieler nicht wissen sollen, was sie erwartet, und ihre Charaktere auf etwas Unbekanntes hin bauen, oder aber die Kampagne des genial-improvisierenden SL, der zu diesem Zeitpunkt selbst noch keine Ahnung hat. Solche soll’s ja geben.

Design-at-start vs. Design-in-play. In meiner letzten Kampagne wollte der SL, dass wir vorab Hintergrundmaterial zu unseren SCs erfinden, und ich muss gestehen, ich habe mir sehr schwer getan. Nicht, weil es Arbeit bedeutete (das bin ich als SL gewohnt), sondern weil ich ein Design-in-Play-Spieler bin, d.h. ich entwickle meine Charaktere gerne nach und nach im Abenteuer.
Schwierig ist natürlich: Wie unterscheidet man als SL einen Design-in-Play-Spieler von einem Design-at-start-Spieler, der einfach nur zu faul ist, sich vorher Gedanken zu machen und ein bisschen, sagen wir mal, Motivation braucht? Und hat man überhaupt das Recht, ein Charakterkonzept einzufordern, oder ist das letztendlich ohnehin der Schaden des Spielers, wenn er nicht weiß, was er eigentlich darstellt?

Jetzt seid ihr dran. Welcher Spielertyp seid ihr? Und was steht bei euch zuerst, Charakter- oder Kampagnenkonzept? Was findet ihr besser?