MR#01 Begrifflichkeiten im Rollenspiel

In diesem ersten Beitrag möchte ich die Frage aufwerfen, inwieweit Begrifflichkeiten und Namen das Rollenspiel bereichern und/oder erschweren. Sind sie nur Schall und Rauch?

Namen. Als Settingerfinder und Spielleiter lege ich viel Wert auf Namen, in puncto Klang, Schreibweise und Assoziationen. Meine Spieler litten hingegen stets innere Qualen. Sie schrieben die Namen falsch, behielten sie nicht im Gedächtnis, und manch einer ging sogar geistig dazu über, sie gänzlich zu ignorieren. Ich fand immer, dass das auf Kosten der Immersion ging. Provokante Frage: Ist es von Spielern zu viel verlangt, sich die Mühe zu machen, ein paar Namen aufzuschreiben und (richtig) zu verwenden? Oder seh’ ich das falsch, und es ist tatsächlich egal, ob das Dorf Düstertann oder Nyontigur heißt?

Begriffe. Zum Thema Begriffe fallen mir vor allem die Fantasie-Begriffe ein, die kein Mensch braucht (oder doch?) und die die Kapazität der Spieler nur unnötig belasten: den Tryal, der eigentlich ein Graf ist, der Uniceptior Arcanis, der eigentlich nichts anderes als ein Erzmagier sein soll usw. Ich persönlich versuche so nah wie möglich an bekannten Begrifflichkeiten zu bleiben und führe neue nur ein, wenn ich meine, damit auch ein anderes Konzept zu verbinden. Oder um das wahre Konzept zu verschleiern. ;)

Fachsprache. Fachsprachen und Termini technici sind mir als Rollenspieler (zumindest im Fantasy-Genre) meistens zuwider. Sie sind wie Geheimsprachen von Spezialisten in einem Spiel, das von gegenseitiger Kommunikation lebt, und sie reißen mich auch oft aus meiner Welt heraus. Im Dungeon interessiert mich nicht, ob der Riesenkäfer vor mir “Mandibel” oder “Zangen” hat, und ich finde es auch seltsam, wenn der Magier in Faerûn plötzlich auf Latein daherquatscht.

Soweit meine drei prävalenten (ups, sorry) Gedanken zum Thema.
Was geht euch dazu durch den Kopf?

Initiative von Spielern – zu viel verlangt?

Ich habe mich schon mal, im Tanelorn, laut gefragt, wieviel die Spieler im Vergleich zum Spielleiter aktiv ins Spiel einbringen müssen/können/sollen, um Sinn und Zweck des Rollenspiels gerecht zu werden. Heute werfe ich diese Frage erneut auf, weil sie sich für mich im Zusammenhang mit meiner Stammrunde ein weiteres (letztes) Mal gestellt und beantwortet hat. Zur Vorgeschichte: Ich habe 12 wunderbare Jahre lang geleitet, musste aber feststellen, dass gewisse Abenteuer in meiner Runde nicht funktionierten. Ich stellte z.B. fest, dass (etwas pauschaliert):

  • die SCs vergleichsweise wenig an einander interessiert waren,
  • NSCs notorisch vernachlässigt/ignoriert wurden,
  • taktische Situationen in endlose Debatten und Hypothesen mündeten,
  • die Handlungen der SCs zu 90% reaktiv und nicht proaktiv waren,
  • gerailroadete Abenteuer wesentlich besser ankamen als solche, in denen die SCs die “volle” Handlungsfreiheit hatten (Detektiv-Abenteuer hassten sie überhaupt),
  • ich keine Downtime-Handlungen seitens der SCs erwarten konnte, zumindest nicht im Vorhinein, allenfalls als Nachtrag im Rahmen des Prologs.

Ich sah das jahrelang als Wermutstropfen und meinte, irgend jemand müsse die “Schuld” daran tragen. Wir hatten immer wieder “Krisentreffen”, in denen ich beklagte, dass ich mir als Spielleiter mehr Initiative und Interaktion zwischen Charakteren erwarten würde, aber es nutzte vergleichsweise wenig; gute Vorsätze hielten meistens nicht lange. Selbstkritisch kam ich zum vermeintlichen Fazit, dass alles meine Schuld sei, da ich

  • die Spieler einfach zu sehr mit erzählerischen Dramen “verwöhnt” hatte,
  • zu viel geleitet und die Spieler dadurch zu gewohnheitsmäßigen Konsumenten gemacht hatte,
  • die Interaktion mit NSCs dadurch erschwert hatte, dass ich ihnen in der Vergangenheit zu viele suspekte und intrigante NSCs geschickt hatte,
  • zu sehr auf Story und einen inhaltlich erfüllten Abend Wert gelegt und damit einer Art Effizienzdenken Vorschub geleistet hatte.

Heute beurteile ich die Sache etwas differenzierter und stelle auch die Frage anders. Es geht nicht darum, wieviel sich Spieler einbringen sollten, sondern wieviel sie sich einbringen können. Ich glaube, dass es eine Frage der Mentalität, Spontanität und Kreativität der Spieler ist, ob sie überhaupt in der Lage sind, Initiative zu zeigen. Zumindest für meine Runde bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass niemand Schuld trägt, sondern einfach die persönlichen Stile nicht zusammen gepasst haben. Meine Spieler waren hochgradig analytisch und perfektionistisch, aber sie hätten nie aus der Rolle ihres SC heraus einen Plot aufgerissen, von dem sie nicht wussten oder glaubten, dass er zum Abenteuer gehörte.

Ich glaube, Spieler sollten so viel oder wenig an Initiative einbringen, wie notwendig ist, um die Erwartungen aller Beteiligten zu erfüllen oder zumindest nicht zu enttäuschen. Wenn sie das nicht wollen oder, was wahrscheinlicher ist, nicht können, dann muss man eher an einer anderen Schraube drehen und die konkrete Konstellation von Spielern hinterfragen.

Mein Fazit zum 27.07.2011: Jede Gruppe, die länger mit einander glücklich werden will, scheint gut beraten, entweder aus Gleichgesinnten zu bestehen oder aus einer gesunden Mischung, in der alle Bedürfnisse erfüllt werden. Ein genauer Blick auf die Spielerpersönlichkeiten ist dabei wesentlich hilfreicher als die titelgebende Frage dieses Artikels. Diese ist ja letztendlich doch nur mit einem “Ja” zu beantworten, da die meisten Spieler ohnedies das geben, was sie geben können und geben wollen. Und mehr kann man nicht verlangen. Macht das irgendwie Sinn?

Meine ganz spezielle Relativitätstheorie

Wenn ich mich so in Sachen Rollenspiel durch Foren und Blogs lese, stoße ich immer wieder auf Beiträge, wie Abenteuer auszusehen haben, wie man richtig spielleitet, was ein Rollenspiel alles tun darf und was es nicht tun darf, was einen guten Rollenspieler ausmacht usw. usf. Besonders in Foren werden Werte, Techniken und Philosophien enthusiastisch hochgejubelt oder gnadenlos niedergemacht. Brandgefährlich sind:

  • Railroading. Gaaanz schlecht, hört man da. Pfui. Spielleiter, die ihre Spieler gängeln, nur um ihren Plot an den Mann zu bringen. Geht ja gar nicht. Angeblich.
  • Goldene Regel. Für die, die die Goldene Regel nicht kennen: Es geht so ca. darum, dass viele Rollenspiele dem Spielleiter explizit zugestehen, die Regeln außer Kraft zu setzen, wenn es dem allgemeinen Spiel (wie auch immer man das definiert) zuträglich ist. Weil ich im Entwurf von Destiny-Beginner diesen Satz noch drinnen stehen hatte, wurde ich gar vor Mord und Totschlag gewarnt. (Ich bin übrigens froh darüber, denn es hat bei mir einen Denkprozess ausgelöst, der andernfalls vermutlich nicht stattgefunden hätte. Trotzdem ganz schön heftig!)
  • Spielerverantwortung. Die Diskussion, wieviel Mitverantwortung Spieler für das Gelingen einer Session tragen, ist auch nicht immer frei von persönlichen Befindlichkeiten. Cooles aktuelles Beispiel in Jörg und Karstens Richtig Spielleiten.

Worauf ich aber eigentlich hinaus wollte, ist, dass Rollenspiel von der Vielfalt der Spieler und ihrer Geschmäcker lebt. Gäbe es nur Storyteller oder nur Butt Kicker, wäre das Genre nicht dort, wo es heute ist. Insofern möchte ich hier eine Lanze für Relativität brechen. Railroading funktioniert für einige Spieler besser als alles andere, die Goldene Regel hilft so manchem SL, unvergessliche Plots zu erzeugen, und Spielerverantwortung ist was Feines, aber manche Runden würden gnadenlos zerbrechen, wenn der SL sie einfordert.

Ich jedenfalls bemühe mich, all diese Dinge in Relation und Kontext zu betrachten. Würde ich in jedem Blogger einen selbst ernannten Propheten und in jedem Beitrag ein absolut gültiges Postulat sehen, hätte ich vermutlich schon Bluthochdruck. So sage ich mir einfach: Alles ist relativ, und unterstelle dem Verfasser wohlwollend, dass er das auch wusste und nur auf Fußnoten und Disclaimer verzichten wollte.