MR#17 Keine Lust auf Gummi

Beim Thema Instrumente und Methoden der Spielleitung muss ich zwangsläufig an einen Mechanismus denken, der momentan relativ „modern“ ist, obwohl es ihn ja eigentlich schon seit den Force Points (oder sogar länger) gibt. Die Rede ist von Gummipunkten a.k.a. Bennies, Style-Points, Dramapunkte o.ä. Gummipunkte kommen in vielen Arten und Formen, aber die Grundform ist aus Gummi weil:

  1. ihre Vergabekriterien höchst subjektiv sind. Sie werden für „coole Aktionen“, für „heroisches Rollenspiel“ und ähnliche weiche Begriffe vergeben und
  2. ihre Einsatzmöglichkeiten sehr offen gestaltet sind. So können sie – je nach System – mehr oder minder jederzeit eingesetzt werden, z.B. um eine Probe auszubessern, sich eine solche zu ersparen oder einen Patzer abzuwenden oder das Geschehen sonstwie in Richtung der SCs positiv ausschlagen lassen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Gummipunkte nur ein erzählerisches oder auch ein spielerisches Instrument sind. Sie fördern den Erzählfluss, das Drama und die Risikobereitschaft der Spieler, auf der anderen Seite sind sie ein klassischer Joker, der Launen des Würfels (das Scheitern des SC beim final blow o.ä.) abfedert oder abfängt.

Ich persönlich bin kein großer Fan von Gummipunkten. Sie verursachen mir zwar keine körperlichen Schmerzen, aber ich bin im Grunde meiner Seele ein Old-School-Spieler, der den Spieltechnik-induzierten Nervenkitzel braucht. Genau der wird aber durch Gummipunkte aufgeweicht, wenn man sich mit genügend solchen vor keiner verhauten Probe, vor keinem Patzer mehr fürchten muss.

Was mich aber besonders misstrauisch macht, ist, wenn Gummipunkte als Belohnungssystem verwendet werden. Für coole Aktionen, für gutes Rollenspiel, für Proviantbeschaffung u.v.a. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so cool finde. Die Zeiten, in denen Spielerleistungen mit XP belohnt wurden, sind mittlerweile vorbei; es hat sich – meiner Beobachtung nach – durchgesetzt, dass weniger die Spieler, sondern eher die Charaktere mit XP belohnt werden. Und trotzdem scheint diese überkommene Art der Spieler-Bewertung in neuem Gewand – in Form von Bennies & Co – wieder über uns zu kommen. Übertriebene Befürchtung oder gerechtfertigtes Misstrauen?

9 Gedanken zu “MR#17 Keine Lust auf Gummi

  1. Gummipunkte sind bestimmt eine Form von „Spieler-Leckerli“ („das hast Du aber feiiin gemacht“). Mag man negativ sehen, ich finde es aber nicht schlecht. Es ist eine Möglichkeit, die das Spiel eher gering beeinflusst, aber dem SL auch eine gute Möglichkeit gibt, den Spielstil der Runde mit zu beeinflussen. ansonsten machen das ja oft die Spieler (wenn es nicht gerade um die Art des Plots geht). Also ob man eher viele gute Sprüche klopft oder Immersion hoch hält, ob man Ideen der Spieler mit einbringen will oder doch lieber auf Intelligenz würfeln lässt. All so etwas machen normalerweise die Spieler untereinander ab und mit Gummipunkten kann der SL seine Vorstellung an den Tisch bringen. Das muss nicht unbedingt klappen, aber es hilft. Vor allem, da sich viele SLs sicherlich mit der Prägung des Spielstils durch Vorbild sein (so würde man das ja ohne Gummipunkte machen) schwer tun dürften. Entweder sie können es nicht so gut oder sie haben einfach den Kopf schon zu voll dafür.

    Ich denke aber nicht, dass sich daraus ein Abhängigkeitsverhältnis oder so etwas entwickelt. Dafür wirken die Gummipunkte doch meist zu wenig und sind optional und das ist auch gut so. Sie sollten nur Beiwerk sein. außer sie sind z.B. ein erzählerisches Element wie bei Fate. Dort werden sie vom SL ja explizit dazu genutzt die Geschichte interessant zu gestalten. Das ist dann eine ziemlich andere Schiene, auch wenn man Fate-Punkte sicherlich auch als „Spieler-Leckerli“ einsetzen kann.

  2. Ich bin selbst kein Freund von Gummipunkten, kann ihnen aber vereinzelt durchaus etwas abgewinnen. Wenn die Grundprämisse eines Spiels geradezu darauf abzielt, dann finde ich das vollkommen okay. Du hast das ja selbst in unserem „7te See“-One-Shot miterlebt: das ganze Spiel baut auf der Tatsache auf, dass die Charaktere wahre Helden sind, sie das–Zitat–“gewisse Etwas“ haben, das sie ggf. aus einer Misére retten kann. In dem Spiel haben wir auch erlebt, dass viele Challenges nicht leicht zu meistern sind, heroische Taten (<- die zugegebenermaßen ja auch sehr gummihaltig sind) oftmals eben den Einsatz von Dramawürfeln fordern. Und wenn man diese dann schlussendlich einsetzt, sind sie spielmechanisch ja schnörkellos abgedeckt… nur eben im Erhalt wird’s schwammig, wo ich wie du auch so meine Probleme habe.

    In einem Spiel wie Savage Worlds beispielsweise stören mich Bennies sogar recht stark. Das ist ein so fein durchdachtes Spiel, da sehe ich absolut keine Verwendung dafür. Mit Wild Dice und Wild Cards usw. gibt es ohnehin schon so viele Förderer des Unberechenbaren, dass sie für mich da immer völlig fehl am Platze waren.

    Ich würde die Beobachtung, dass nun eher Charaktere als die Spieler belohnt werden nicht unbedingt unterschreiben. Zu frühen D&D-Zeiten bspw. wurdest du ja auch eher direkt für das Überwinden von Gefahren belohnt, als für eine spitzfindige Idee. Wenn ich mir ein Spiel wie Warhammer Fantasy 3 ansehe, da wird man persönlich ja kaum noch belohnt, sondern viel mehr das Kollektiv, die Gruppe also. Inwiefern das exemplarisch ist, kann ich jetzt allerdings auch nicht auf die Schnelle sagen.

    • Du hast das ja selbst in unserem “7te See”-One-Shot miterlebt: das ganze Spiel baut auf der Tatsache auf, dass die Charaktere wahre Helden sind, sie das–Zitat–”gewisse Etwas” haben, das sie ggf. aus einer Misére retten kann.

      In einem Spiel wie Savage Worlds beispielsweise stören mich Bennies sogar recht stark. Das ist ein so fein durchdachtes Spiel, da sehe ich absolut keine Verwendung dafür. Mit Wild Dice und Wild Cards usw. gibt es ohnehin schon so viele Förderer des Unberechenbaren, dass sie für mich da immer völlig fehl am Platze waren.

      Ich kenne Bennies erst seit SavageWorlds (vorher bei D&D, Midgard, Gurps ging es auch ohne), aber gerade bei SavageWorlds gehören sie doch dazu. Gerade weil es soviel Unberechendares gibt (es fehlen noch die explodierenden Würfel) braucht man die zum Ausgleich. Wenn ich öfters mal an meine eigenen Bennies denken würde, dann würden meine NSCs auch mal länger überleben und besser kämpfen (falls ich nach dem Bennie nicht genauso schlecht würfel wie beim ersten Wurf).

      Oben das Zitat von “7te See” trifft doch genauso auf SavageWorlds zu. Jedenfalls je nach Setting mehr oder weniger.

      Ganz allgemein zu Gummipunkten: Wenn man sehr an seinem Charakter hängt (etwas was uns mein erster D&D-Spielleiter schnell ausgetrieben hatte), dann könnte man ohne Gummipunkte zu der Überlegung kommen „bei dieser oder jener Aktion stehen die Chancen dass mein Charakter es schafft/überlebt schlechter als 50/50, also kommt mein Charakter garnicht auf die Idee diese Aktion auch nur in Erwägung zu ziehen oder daran zu denken“.
      Mit Gummipunkten kann man seinen Charakter viel eher mal auf den Gedanken kommen lassen irgendetwas unüberlegtes/heroisches/gefährliches zu versuchen.

  3. Ich persönlich mag die Verquickung Nutzung als Joker vs. EP nicht. Da wird versucht die zu horten, statt sie auszugeben. Aber ich bin auch ganz froh, dass die meisten rollenspiele, die ich spiele, ohne Gummipunkte auskommen.

    • Richtig, daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht. War bei 7th Sea sehr eklatant zu beobachten, bei jüngeren Systemen ist das glaub‘ ich aber eh nicht mehr so verbreitet.

  4. Persönliche Bemerkung: Ich habe gestern erfahren müssen, dass die Bezeichnung „Gummipunkte“ herabwürdigend sei für diese Art von Mechanismus. Ich möchte ausdrücklich feststellen, dass ich niemandes Lieblings-Punkte hier herabwürdigen wollte, sondern ernsthaft davon ausging, dass „Gummipunkte“ ein zwar legérer, aber gängiger Ausdruck dafür ist. Falls jemand da draußen sich also durch meine Wortwahl auf den Schlips getreten fühlt, bitte ich um Entschuldigung und gelobe feierlich, die Dinger künftig als Heropoints o.ä. (wie ist denn tatsächlich der Terminus Technicus dafür?) zu bezeichnen.

  5. der den Spieltechnik-induzierten Nervenkitzel braucht. Genau der wird aber durch Gummipunkte aufgeweicht, wenn man sich mit genügend solchen vor keiner verhauten Probe, vor keinem Patzer mehr fürchten muss.

    Der Nervenkitzel ist ja nur solange augeweicht, solange die Spieler noch Gummipunkte haben. Wenn die dann beim finalen endkampf zur Neige gehen…

    Gerade bei SavageWorlds wo jeder Kampf auch böse in’s Auge gehen kann.

    Und dann waren da noch die Momente wo man nach einem Patzer einen Bennie einsetzt um den Wurf zu wiederholen und wieder ein Patzer oder fast-Patzer bei rauskommt und nach dem zweiten Bennie es dann beim dritten Versuch dann wieder nicht klappt. Auch schon erlebt…
    Das ist dann wiederholter Nervenkitzel gepaart mit Frust. :-/

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