Goldfall – Kapitel 08: Der Auftrag

Es war tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis die Leute mit dem Finger auf ihn zeigen und behaupten würden, das Wunder wäre seinetwegen ausgeblieben. Er, der er den heiligen Felsen mit Hammer und Meißel geschändet hatte, als perfekter Sündenbock, als der Grund, warum Lyreya ausgerechnet in diesem Jahr, dem 653. Jahr nach der Gründung Catoriens, ihr Wunder für sich behalten hatte.

„Es gibt keinen anderen Weg“, sagte Learto nach langem Überlegen. „Ihr müsst fliehen Ich bin gewiss kein Feigling, aber wenn man Euch hier erst in die Mangel nimmt…“

Struggel schwieg – ausnahmsweise – und trommelte mit den Fingern gegen die Häuserwand. Ihm war bewusst, dass es ihm kaum gelingen würde, sich zu rechtfertigen. Nicht gegenüber religiösen Eiferern und Anschuldigungen, die sich weder beweisen noch widerlegen ließen. Mittlerweile kannte er die Traditionen dieses Menschenvolkes und wusste, dass die Catorier, was ihre Götter betraf, keinen Spaß verstanden. Für einen kurzen Augenblick zog er sogar in Betracht, das Scheitern des Wunders tatsächlich verschuldet zu haben.

„Aber nein!“, rief er plötzlich, „ich kann unmöglich schuld an alldem sein! Und wisst Ihr auch, warum? Bringt mich zum Tempel, jetzt!“

Learto machte ein seltsames Gesicht.

Um das weißgetünchte Gebäude hatte sich bereits eine Menschentraube gebildet. Viele suchten nach Antworten, andere wollten Opfergaben darbringen oder ein Gebet sprechen, um die Göttin wieder milde zu stimmen. Dieselben Tempeldiener, die auch die Sänfte der Hochgeweihten getragen hatten, hielten die Leute jedoch am Tor auf Abstand.

Der Schmied hatte alle Hände voll zu tun, Struggel heil durch die Menge zu bringen, und ebenso schwer war es, die Tempeldiener davon zu überzeugen, sie hinein zu lassen. Schließlich aber bemerkte eine der Priesterinnen, wer da vor dem Tempel stand und ließ sie eintreten.

Man brachte sie unverzüglich zur Kammer der Hochgeweihten. Durch den Vorhang sah Learto das Mädchen, wie es am marmornen Boden kniete, eine Ikone in den Händen hielt und bitterlich weinte. Da schwang der Vorhang zur Seite, und eine wesentlich reifere, aber nicht minder attraktive Frau trat zu ihnen heraus. Learto und Struggel machten unwillkürlich einen Schritt zurück.

„Was…?“, begann sie barsch, „Ihr seid noch hier? Ihr hättet lieber fliehen sollen, solange Ihr Gelegenheit dazu hattet.“

Während Learto betreten zu Boden sah, schnappte Struggel zurück: „Das würde Euch so passen! Ich werde nirgendwo hingehen. Ich bin hier, und ich bleibe hier!“

Learto entschuldigte sich in aller Form für seinen Gefährten, doch die Frau reagierte äußerst unerwartet: Sie nickte einige Male, so als läse sie Struggels unausgesprochene Gedanken.

Schließlich sagte sie, weitaus ruhiger: „Ihr seid klüger als man Euch zutrauen würde. Also gut, folgendes möge geschehen: Meine Tochter wird verkünden, dass sich die Geweihtenschaft zu einer tiefen Kontemplation zurückzieht, um den Willen Lyreyas in Erfahrung zu bringen. Bis die Göttin ihren Willen kundgetan hat, soll es keinerlei Akt der Vergeltung geben. Ihr werdet somit ein wenig Zeit haben, um herauszufinden, warum das Wunder ausblieb. Aber bedenkt, dass diese Zeit begrenzt ist, und vergesst nicht, was Ihr zu verlieren habt.“

Learto blickte fragend zu Struggel, der allerdings grinste nur selbstzufrieden.

„Und nun geht mir aus den Augen.“

Tempeldiener führten die beiden durch die Hintertür nach draußen.

Dort packte Learto den Trosh an der Schulter. „Dageblieben! Was war denn das gerade? Wie kommt es, dass ich in Eurer Gegenwart immer das Gefühl habe, nichts zu verstehen?“

Der Trosh lächelte noch immer breit. „Das rührt daher, Meister Schmied, dass Ihr nicht zum Denken geboren seid. Ebenso wenig, wie es mir bestimmt ist, einen Hammer zu schwingen und schweres Eisen zu schmieden. Aber ich will Euch aufklären: Ihr erinnert Euch gewiss, dass das Mädchen meinte, ein ungläubiger Trosh wie ich könne nie und nimmer das zerstören, was den Leuten hier heilig sei.“

„Ja… nun… aber, und?“

„Es ist doch ganz einfach: Wenn sie mich als Urheber dieser Misere anklagten, hieße das zwangsläufig, dass das Mädchen – immerhin die Hohepriesterin – sich geirrt hat. Niemand würde ihren Worten danach noch Glauben schenken. Ihre Frau Mutter ist sich dessen natürlich bewusst und hoffte wohl, ich würde fliehen.“

Allmählich begriff Learto.

„Damit wäre meine Schuld weder zu beweisen noch zu widerlegen gewesen. Da ich aber hier bin und sie genau weiß, dass mich keine Schuld trifft, liegt es keineswegs in ihrem Interesse, dass man mich anklagt.“

„Trifft Euch denn keine Schuld?“

„Ich denke nicht, hehe. Aber das herauszufinden, ist ja unser Auftrag.“

„Was für ein Auftrag? Niemand hat etwas von einem Auftrag gesagt!“

„Natürlich hat sie es nicht ausgesprochen, Meister Schmied! Wäret Ihr Hohepriester, würdet Ihr wohl auch nicht einen ungläubigen Trosh damit beauftragen, Licht ins Dunkel Eurer Affären zu bringen, oder?“ Er kicherte. „Ich stelle fest: Die Wege Eurer seltsamen Götter sind in der Tat unergründlich!“

Dies war eines der 20 Kapitel der Fantasy-Geschichte Goldfall, die im Rahmen dieses Blogs veröffentlicht wird. Lies morgen im nächsten Blogpost, wie die Geschichte weitergeht!

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