Goldfall – Kapitel 16: Der Tunnel

Nachdem die Öllampe entflammte, sah auch Learto, wo sie sich befanden, nämlich in einem breiten Tunnel, der geradewegs in den Fels hinein führte. Schwere Tropfen hingen an den Wänden, manche lösten sich behäbig und sammelten sich nach einem dezenten Platschen zu dünnem Rinnsal.

„Mankusgalganit“, sinnierte Struggel leise, während er die Fingerkuppen im Vorbeigehen über das Gestein gleiten ließ, „ein überaus seltenes Gestein. Es lässt sich zwar leicht behauen und trägt oftmals Goldadern in sich, aber es ist auch unberechenbar. Bei uns zu Hause haben sich die Höhlen aus Mankusgalganit binnen weniger Generationen vollkommen gewandelt. Aus Stollen wurden Schächte, aus Kavernen wurden Kammern… fast so, als würde es leben! Dieser Tunnel hier ist allerdings nicht gewachsen, sondern gegraben.“

„Aber wer würde hier einen Tunnel graben? Und zu welchem Zweck?“

Struggel hielt inne. „Das, Meister Schmied, werden wir wissen, wenn wir ihn zu Ende gegangen sind. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dies jener Ort ist, an den der Tempel hätte verlegt werden sollen.“

Learto hielt die Lampe höher und drängte sich an seinem kleinen Freund vorbei. Weiter vorne, so sah er im Lichtschein, wandelte sich der krude Tunnel zu einem aufwändig gestalteten Korridor. Boden und Wände waren glatt gehauen und mit Reliefs verziert. So weit zu sehen war, handelte es sich um kunstvolle Motive, vor allem Schwäne und tänzelnde Frauen.

Einige Schritt danach kam eine menschengroße Statue aus weißem Marmor in Sicht. Sie bildete eine wunderschöne Frau mit langem, wallenden Haar ab. Entgegen sonstigen Bildnissen der Göttin Lyreya hielt sie keine Harfe in der Hand, sondern spielte auf einer Flöte. Mit dem Rücken stand sie zur Wand, der Gang war also hier zu Ende.

Struggel fand das enttäuschend, entdeckte aber schon bald, dass die marmorne Flöte Löcher aufwies, die nicht nur angedeutet, sondern durchgehend waren. Es musste sich also um ein weiteres Rätsel handeln, das sie zu lösen hatten. Vermutlich würde die richtige Melodie, gespielt auf der marmornen Flöte des Götterbildes, eine weitere Geheimtür öffnen. Bevor sich Learto dazu äußern konnte, kletterte Struggel auf den Sockel und hing mit den Lippen am unteren Ende der Flöte. Er hielt auf Verdacht einige Löcher zu und blies aus vollen Backen. Das Geräusch, das dabei heraus kam, war nicht gerade betörend, und aus den offenen Löchern spritzte Spucke.

Learto verzog das Gesicht. „Müsst Ihr auch wirklich jede Gelegenheit nutzen, um unsere Götter lächerlich zu machen?“

Der Trosh blickte schuldbewusst und kletterte vom Sockel.

„Manchmal sind die Dinge einfacher, als man denkt“, sagte der Schmied und begann, die Statue zu drücken, zu ziehen, zu schieben, zu kippen, doch erst als er sie drehte, bewegte sich etwas. Der Sockel, auf dem sie stand, war beweglich gelagert und mit der Wand dahinter verbunden. Gemächlich drehte sich das vermeintliche Ende des Korridors in Einheit mit der Statue zur Seite und gab den weiteren Weg frei.

Dahinter waren keinerlei Reliefs und Bildnisse mehr zu sehen, es war vielmehr ein unfertiger Stollen, der von hier an weiter in das Innere des Felsens führte. Ein unterschwelliges Rauschen war zu hören, und die Luft roch noch stärker nach Feuchtigkeit.

„Ich bin gespannt, was wir hier finden werden“, sagte Struggel erwartungsvoll.

Vorsichtig setzten sie einen Fuß vor den anderen, denn der Boden war rutschig und uneben. Learto mutmaßte, dass sie etwa zwanzig Schritt tief in den Fels eingedrungen waren, doch untertags waren Entfernungen schwer abzuschätzen, und der Gang verlief auch nicht gerade. Struggel erklärte, dass das an dem Mankusgalganit lag, der an manchen Stellen so hart würde, dass man darum herum graben müsse.

Plötzlich hielt Learto Struggel an der Schulter zurück. „Habt Ihr das gehört?“

Struggel neigte den Kopf, und tatsächlich – von weiter vorne kam ein Hecheln und Knurren, das rasch lauter wurde, begleitet vom Geräusch scharfer Krallen, die über den steinernen Boden wetzten. Einen Herzschlag später erschien im Licht der Öllampe ein riesiger, dunkelfelliger Hund mit blutunterlaufenen Augen und gefletschten Zähnen.

Reißer.

Dies war eines der 20 Kapitel der Fantasy-Geschichte Goldfall, die im Rahmen dieses Blogs veröffentlicht wird. Lies morgen im nächsten Blogpost, wie die Geschichte weitergeht!

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