Abstrakt ist langweilig

Der Hochsommer bzw. das Sommerhoch hat mich fest in seinem Griff, aber nicht so fest, dass ich nicht zwischenzeitlich schon wieder Ideen für neue Projekte entwickelt hätte. Eine davon hat mich dazu inspiriert, über abstrakte Ansätze im Kampf nachzudenken, mit der Absicht, das Erzählerische zu fördern und mehr Abwechslung in das übliche Attacke-Parade-Schaden-Schema zu bringen.

Kurioserweise habe ich beim Durchdenken einiger solcher Ansätze festgestellt, dass mit zunehmendem Abstraktionsgrad der Anreiz für inspirierende Aktionen sinkt. Dazu ein Beispiel: Nehmen wir an, 3 SCs kämpfen gegen 1 Oger und 3 um diesen herumschawenzelnde Goblins. Da wäre es doch ziemlich cool, wenn ein SC sagen würde und könnte: „Nachdem ich Goblin 1 mit meiner Axt die Hand abgeschlagen habe, reiße ich seinen stinkenden Leib an mich, nehme ihn in den Würgegriff und verwende ihn gegenüber den Attacken des Ogers als Schutzschild.“

Das sind so Aktionen, die ich üblicherweise im Rollenspiel vermisse, weil sie meistens so kompliziert oder so schwierig sind, dass man lieber gleich drauf verzichtet und den Goblin einfach abmaxelt („ja, also das ist ein Manöver zweiten Grades ,gefolgt von einer waffenlosen Attacke, da hat der Goblin aber noch einen Rettungswurf xy“…). Stark simulationistische Systeme fördern diese Art von kreativem Erzählfluss im Kampf also üblicherweise nicht.

Meine Annahme war, dass ein abstrakter Ansatz nun den gegenteiligen Effekt haben würde, also habe ich mir kurz ein System überlegt, nach dem Gruppen von Kämpfern gegen einander würfeln und so Art „Überlegenheitspunkte“ aufbauen, die sie dann erzählerisch nutzen können, z.B. um Schaden zu verursachen oder eben den Goblin als Schutzschild zu verwenden. Und nun die große Überraschung: Das ließe sich zwar spieltechnisch umsetzen, aber warum sollte der Spieler sich die Mühe machen, das so kreativ in Szene zu setzen?

Worauf ich hinaus möchte ist: Taktik macht erfinderisch. Hohe Abstraktion macht Taktik entbehrlich. Wenn es keinen Rüstschutz gibt und keine Verteidigung, sondern nur einen Vergleichswurf, warum sollte ich dann auf die Idee kommen, einen Goblin als Schutzschild zu verwenden?

Ich vermute daher, dass die Kreativität im Kampf bei ganz geringer Abstraktion = starkem Simulationismus ebenfalls gering ist (weil das Spiel sie einfach nicht zulässt), danach ansteigt und ab einem gewissen Punkt wieder abnimmt. Bei sehr hoher Abstraktion ist sie nämlich wiederum gering, einfach weil der Anreiz fehlt.

Abstrakt ist also nicht gleich erzählerisch. Abstrakt ist sogar, im schlimmsten Fall, langweilig.

Disclaimer: Alle Kreaturenbezeichnungen (insbesondere Goblins) sind rein zufällig und nicht gedacht, irgendeine Spezies zu diskriminieren. Sie sind außerdem geschlechtsneutral zu lesen („Ogrin“, „Goblinin“).

[DSP#10] Back to Square One

Gestern bei unserer Redaktionssitzung für den Polyeder Podcast ging es u.a. um das Thema Science Fiction und was es eigentlich ausmacht. Dank meines Co-Moderators Markus hatte ich plötzlich so eine Art Epiphanie. Die ganze Zeit über war da das Gefühl gewesen, dass mir beim neuen Destiny-Space-Setting etwas fehlt, und jetzt weiß ich, was es ist:

Es geht in Science Fiction nicht um „Gadgeteering“, um Sternenraumkämpfe, um abge-space-te Alienrassen. (Zumindest nicht ausschließlich). Es geht vielmehr um Gegensätze, innere wie äußere. Um Licht und Schatten, oben und unten, Makrokosmos vs. Mikrokosmos. Es geht um auf den Kopf gestellte Prämissen, um Grauzonen und Abgründe, um gewagte Annahmen und Thesen, um das „Was wäre wenn?“, um das Sicht-zurecht-finden-in-einer-ganz-anderen-Welt.

Ich habe bisher bei der Konzeption des Schwarms viel zu viel Zeit darauf verwandt, mir die Frage zu stellen: Wie kriege ich es hin, dass dieser oder jene (abenteuertaugliche) Zustand gegeben ist. Das Gegenteil hätte ich mich fragen müssen: Wie kriege ich es hin, dass das Setting möglichst unberechenbar, anders und fremdartig ist? Ich kann wirklich nur jedem Spiel-Designer raten, sich regelmäßig im kreativen Prozess die Frage zu stellen, was das Setting eigentlich bei den Spielern bewirken soll. Nicht die Spielercharaktere, sondern die Spieler spielen das Spiel, d.h. das Setting hat nicht nur Kulissenfunktion, sondern die Aufgabe, das Spielerlebnis des Spielers zu bereichern. Sich kritische Fragen zu stellen, die unter die Oberfläche dringen, ist absolut unerlässlich!

Mehr dazu in zwei Wochen im Polyeder Podcast. Für mich heißt es jetzt einmal: Back to Square One. Naja, nicht ganz. Die Kernzutaten – Schwarm, Völkerkonzeption, Sektorenfeld – passen ja wunderbar, ich muss sie nur so zubereiten, dass sie nicht an Geschmack verlieren und Einheitsbrei daraus wird.

[DSP#07] Möge das MagField mit dir sein

Ressourcenabbau, Handel, politische Intrigen – all das verheißt ziemliche Hard-SciFi, aber Destiny Space käme nicht aus meiner Schmiede, wenn es nicht auch ein übernatürliches Element gäbe. Dieses Element heißt bei uns MagField (der erste Begriff, der uns einfiel, war MagForce, aber „Force“ ist irgendwie besetzt und „MagForce“ existiert sogar schon in einem Margaret Weis-Rollenspiel, afair). Wie auch immer. Unser MagField ist jedenfalls kein simpler Ersatz für Midichloridaner & Co. *würg*, sondern hat folgende Funktionen:

  1. Es sorgt durch seinen antitechnologischen Effekt für das gewisse Etwas des Settings: Im Schwarm funktionieren nämlich Hochtechnologien nicht. Punkt. Es gibt keine ultratollen Netzwerke, keinen Langstreckenfunk, keine Virtual-Reality-Systeme, keine KI-Kollektive, keinen Autopilot, keine Superscanner usw. Mit anderen Worten: In diesem Setting besteht noch Bedarf für Piloten, die selbst Hand anlegen, und man trifft sich auch noch persönlich im Handelshub, um Informationen auszutauschen, anstatt sich auf soziale Netzwerke zu verlassen. Wichtige Informationen werden auch noch per Datenkristall von A nach B gebracht anstatt sie über den Äther zu streamen. Das ist vermutlich der allerwichtigste Aspekt unseres Settings.
  2. Das MagField hat Erklärungsfunktion für vieles, das rein physikalisch nicht oder nur schwer zu erklären wäre. Zum Beispiel, dass es im Schwarm kein Problem mit kosmischer Strahlung gibt oder dass es Artefakte gibt, die künstliche Atmosphäre und Gravitation schaffen. Ich glaube, es ist ungeheuer wichtig, in einem Rollenspiel dafür zu sorgen, dass das, was sich Spielleiter XY an Gegebenheiten ausdenkt, auch für alle plausibel ist. In Fantasy ist das einfacher, weil die Zusammenhänge simpler sind und im Zweifelsfall durch Magie erklärt werden (auch wenn das nicht elegant ist und lieber ultima ratio bleiben sollte). In SciFi ist das Bedürfnis nach Erklärbarkeit tendenziell höher, gleichzeitig gerät aber unser Wissen schneller an seine Grenzen. Während ich mir in Fantasy schnell mal anlesen kann, wie eine Burg aufgebaut ist, fällt mir das mit allgemeiner und spezieller Relativitätstheorie schon nicht mehr ganz so leicht. Wie angenehm, dass ich im Schwarm also vieles auf das MagField zurückführen kann.
  3. Das MagField dient außerdem als spirituelle Sphäre – zumindest für die ausgestorbenen Natokh, deren Seelen ins MagField eingingen, deren Intelligenz seitdem quasi im Schwarm immanent sind und für allerlei rätselhafte, förderliche oder hinderliche Ereignisse sorgen können. Damit ist auch das Thema Göttlichkeit in das Setting integriert, ohne mit den eher für Fantasy üblichen Klischees arbeiten zu müssen.
  4. Last but not least oder vielleicht doch least, dient das MagField tatsächlich auch als metaphysisches Trägermedium, d.h. als magische Energie, okkulter Limbus, „Macht“ oder wie immer man es nennen mag, jedenfalls als Humpfdiwumpf, welches übernatürliche Phänomene wie Telekinese etc. ermöglicht. Wobei es uns ein Anliegen war, diesen Aspekt des MagField nicht zu überbewerten, weil Destiny Space eben nicht „Fantasy im Weltraum“ sein soll.

Man hört zu verschiedenen Settings immer wieder Kritik, wie sie mit Magie umgehen bzw. dass sie eben nicht damit umgehen, sich nicht die Frage stellen, wie sie den Alltag der Leute, die Wissenschaft, die Technologien etc. prägt. Wir haben beim Designen des Schwarms jedenfalls versucht, das MagField so tief wie möglich in das Setting zu integrieren und ich bin gespannt, ob es uns gelungen ist, all das zu einer logischen, schlüssigen Einheit zu verbinden.

[DSP#04] Zwei Schritt vor, einer zurück

Ich selbst bin sowohl als Spieler als auch als SL oft hin- und hergerissen zwischen meinen Bedürfnissen nach Einfachheit und nach Komplexität. Dementsprechend versuchen auch meine Spiele, einfach und intuitiv zu sein, aber auch eine gewisse Tiefe aufzuweisen, die sich den Spielern bei näherer Auseinandersetzung erschließt.

Nun, da ich mich im Science Fiction-Genre bewege, spüre ich plötzlich, dass der Wunsch nach Komplexität größer wird. Offenbar gibt es – „System does matter“ – eine Korrelation zwischen Technologieniveau im Setting und Komplexität des Spiels. Ich habe plötzlich das Bedürfnis, verschiedene Arten von Geschützen zu definieren, Schiffstuning zu ermöglichen und ein kleines Handelssystem auszubaldowern, über das die Charaktere – wenn sie es wollen – Profit machen können.

Natürlich muss ich höllisch aufpassen, mich nicht auf Kosten der Einfachheit in Details zu verlieren. So habe ich in den letzten Wochen etliche Regeln verändert, eingedampft, neu gemacht oder gekübelt – ganz nach dem Motto „Zwei Schritt vor, einer zurück“. Das ist nicht immer leicht, weil man sich als Systemdesigner nur allzu leicht in eine seiner Regeln verliebt, aber es ist notwendig.

Ein zusätzlicher Verdauungsausgang oder: Rassen-Feats in Destiny Space

Rassenfähigkeiten. Die waren schon bei Destiny Dungeon eine harte Nuss. Nun aber möchte ich für die ziemlich unorthodoxen Rassen in Destiny Space, die ich demnächst hier vorstellen werde, jeweils eine Fähigkeit einführen, die man um 1 Destiny-Punkt triggern kann, und zwar mit einem sicheren Erfolg á la Rassenfähigkeiten in Destiny Dungeon. Zweck soll sein:

  • Jede Rassenfähigkeit soll die Besonderheiten widerspiegeln, die die jeweilige Rasse im Kontext des Settings besitzt. Beispiel: Die Zulka haben 4 Augen, daher soll auch die Fähigkeit etwas mit diesen 4 Augen zu tun haben.
  • Die Fähigkeit soll fördern, Charaktermerkmale der jeweiligen Rasse auszuspielen. Beispiel: Die Mlendosianer sind friedfertig, daher sollte ihre Fähigkeit auch zur konfliktarmen Problemlösung dienen.
  • Die Fähigkeit soll helfen, Spotlights zu schaffen bzw. auszunützen. Beispiel: Die Irlithaner haben eine starke Panzerung, aber reicht es, dass sie damit Schadenspunkte negieren? Das allein schafft kein Spotlight.
  • Die Fähigkeit soll halbwegs aktiv ins Spiel zu bringen sein.

Und jetzt sind wir schon bei meinem großen Problem. Fähigkeiten sollen cool sein, aber v.a. sollen sie jederzeit (na gut, meiste Zeit) vom Spieler ins Spiel gebracht werden können. Beim Nachdenken über die oben erwähnten Zulka mit ihren 4 Augen stehe ich nun vor der Schwierigkeit, dass so ziemlich alles, was mit Wahrnehmung zu tun hat, reaktiv ist, d.h. nicht bewusst vom Spieler ins Spiel gebracht werden kann:

Gefahreninstinkt – bäh. Etwas rechtzeitig kommen sehen – bäh. Nicht überrascht werden können – bäh. Das Gras wachsen sehen – bäh. Alles schärfer sehen – bäh. Tiefenschärfe, Rundumblick, zwei Bücher gleichzeitig lesen – alles bäh.

Am liebsten würde ich den Zulka mittlerweile die Augen wieder wegnehmen und ihnen dafür einen zusätzlichen Verdauungsausgang verpassen. Das wäre zumindest nicht reaktiv. Also, wenn mir jemand das Leben erleichtern möchte und eine gute Idee für eine nicht-reaktive Fähigkeit im Zusammenhang mit 4 Augen hat (2 normale, 2 in Ohrennähe), wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, diese loszuwerden, bevor mit den Zulka etwas ganz Schlimmes passiert…

Man kann nicht alles „trocken“ designen

Manche Dinge lassen sich nicht auf dem Reißbrett konstruieren. Ein Rollenspiel ist ein Zusammenwirken verschiedenster Faktoren: Wahrscheinlichkeiten, Psychodynamik, Zielgruppe, Atmosphäre, Vision, Assoziationen – da spielt einiges hinein. Um so mehr wundere ich mich über manche Spiele, die den Anschein erwecken, als wären sie auf dem Reißbrett gezeichnet, aber nie getestet worden… aber dazu ein anderes Mal.

Gerade eben, im Diskurs zu Destiny Space mit meinem Co-Autor bei diesem Projekt, bin ich an einen Punkt gestoßen, der sich einfach nicht im Vorhinein abschätzen lässt. Da hilft oft nur Ausprobieren, Testen, Feedback einholen. Ich stell euch diesen Auszug aus einem e-mail von mir an ihn zur Verfügung, weil er auch ganz gut widerspiegelt, wie ich beim Design einzelner Regeln denke und mir selbst (und in diesem Fall auch anderen) gegenüber argumentiere.

>>Hast du geplant mehrere „Positionen“ im Schiff zu haben die die Spieler besetzen können und dann je nach Position Aktionen ausführen? Oder eine spezielle Position nur für den Piloten?

>[…] Wenn mehrere SCs am Schiff Positionen besetzen, können sie jeweils Proben würfeln, und es zählt dann pro Sternenkampfrunde die beste Probe. Dem Piloten würde ich aber insofern die Schlüsselrolle geben, als nur wenn seine Probe gelingt, die anderen optimieren können. Wenn der Pilot das Manöver schon grundsätzlich vergeigt, dann können auch geniale Funksprüche und TechRoom-Tuning nichts bewirken. (Außer vielleicht mit Destiny-Punkten). Darüber habe ich viel nachgedacht, aber es scheint mir am Sinnvollsten so zu sein. Alles andere würde zum Paradoxon führen, dass ein Schiff keinen guten Piloten braucht, wenn nur 2-3 „other crew“-Maxln vorhanden sind, die mit ihren Würfen statistisch dann schon fast immer zum Erfolg kämen. Ergo muss mal dem Piloten die Probe gelingen, und die anderen haben dann „nur“ noch Optimierungsmöglichkeit. Keine Ahnung, ob das ein guter Ansatz ist. Kann natürlich sein, dass das im Spiel dazu führt, dass die Optimierung nur selten durchschlägt und die Proben für A und F gewürfelt werden. Das ist noch nicht abzusehen und wird der Test zeigen. Als Plan B hätte ich dann noch die Möglichkeit, den EW des Piloten zu modifizieren. Ein Modifier, also ein +1 pro weitere gelungene Probe (oder so) wirkt sich in jedem Fall aus, kann aber dazu führen, dass das Gleichgewicht kippt und Schiffe, die mit „orchestrierter Besatzung“ gesegnet sind, überproportional gute Chancen gegen ihre „Ein-Mann-Schiff“-Gegner haben. Das ist eine Balancing-Frage, die im Vorhinein schwer abzusehen ist; da würde ich mal die ersten Tests abwarten.

 

Und genau auf diese freue ich mich schon sehr. Erfahrungsgemäß dreht sich nach den ersten Tests noch vieles um. Aber es ist immer gut, einen Plan B oder sogar Plan C für eine Regel zu haben, sonst ist alles zu sehr im Fluss, und die einzelnen Elemente passen am Ende nicht mehr zu einander.