Bau einer Sandbox (Teil 2)

Was rote Fäden betrifft, scheiden sich die Geister. Die Hardcore-Sandbox-Spieler verweigern ja so ziemlich jedes vorbestimmte Drama, weil die Ereignisse von den Spielern ausgehen mögen und nicht einem Plot, wie lose er auch immer definiert sei, folgen sollen. Trotzdem hatte ich mich bei Destiny Dungeon entschieden, Elemente einzufügen, die es dem SL ermöglichen sollten, eine dramatische Kampagne auf die Beine zu stellen.

Schritt 2: Rote Fäden

Im Zuge des Nachdenkens über die roten Fäden – die Diskussionen hier im Blog waren übrigens sehr hilfreich! – kam ich zu zwei wesentlichen Kriterien:

  • Das Wichtigste schien mir, dass die roten Fäden optional bleiben. Ob Spieler und SL dem roten Faden folgen oder nicht, durfte sich in keiner Weise auf die Verwendbarkeit oder Spielbarkeit anderer Elemente auswirken.
  • Das zweite war, dass die roten Fäden keine Metaplot-Qualität bekommen durften. Das Setting musste sein Kolorit und seinen Reiz bewahren, auch wenn man sich die roten Fäden wegdenkt.

Diese beiden Kriterien haben mich einige Pläne, die ich für Istarea hatte, gleich wieder verwerfen lassen. Ideen dazu, wie Mavith mit seinen Intrigen das Königreich lahm legt, ein Jahresplan mit Schlachten gegen die Horden bis hin zu einem Coup der Limisjünger – all das war schon fast fertig, aber ich habe es letztlich verworfen und mich damit begnügt, nur Andeutungen in die Aufhänger und Szenarien einfließen zu lassen (z.B. das Attentat am Grafentag). Klar ist es als Autor verlockend, den Lesern die coolen Ideen, die man mit dem Setting hat, und all die genialen NSC-Pläne unter die Nase zu reiben. Aber den Fehler, die Fantasie und den Erfindungsreichtum der Spieler und Spielleiter zu unterschätzen, den haben schon andere gemacht, den muss man ja nicht unbedingt wiederholen. Was aber habe ich nun getan, um rote Fäden auszulegen:

Ich habe die Sieben Schwerter erfunden und damit den Sammlertrieb beiden Spielern adressiert. Man denke sich eine Handvoll Gegenstände aus, bei denen „das Ganze mehr ist als die Summe der Teile“ und streue sie über die Sandbox. In meinem Fall waren es 7 Schwerter, weil es thematisch zum Setting (Menschen vs. Horden) passte und ein Schwert für alle Charaktere irgendwie greifbar ist. Wären es irgendwelche magischen Mumpfdiwumpf-Kugeln, dann wüsste wieder keiner außer vielleicht dem Magier, was die können und ob man sie überhaupt verwenden kann, daher blieb ich hier klassisch old-schoolig und bodenständig. Die Schwerter halfen mir auch, einige Parteien zu charakterisieren (z.B. Graf Terus von Lovorn, den Schlangenblender) und diverse Elemente auf epischeres Niveau zu bringen (z.B. der erschlagene Riese in den Wandernden Hügeln). Was wichtig ist: Die Schwerter wurden später in den Szenarien so platziert, dass man sie nur schwer zufällig finden kann, sondern auf Hinweise angewiesen ist (z.B. das Schwert der im Netz von Chnis-Niri verendeten Kriegerin oder jenes am Grunde des Loch Nor). Das erhöht quasi ihren Wert und trägt auch zur Plausibilität bei, immerhin liegen die dort seit Jahrhunderten.

Aus der Geschichte mit den 7 Schwertern ist dann schließlich auch noch ein weiterer roter Faden entstanden, der zuerst so gar nicht geplant war. Mir kam die Idee, dass es cool wäre, wenn es auch noch sieben Hordenführer gäbe, die eine Schlüsselstellung innerhalb der Horden einnähmen und als Etappenziele herhalten könnten. Also habe ich mich hingesetzt und nachgedacht, welche von den bereits bestehenden „Bossmonstern“ sich als Hordenführer eignen würden. Da bot sich z.B. die Schlange von Lovorn an, und auch die Riesenspinne in Szenario 11 erfuhr ein Upgrade zum Spinnengott Chnis-Niri. Dann erfand ich noch ein paar zusätzliche, damit ich auf die zahlenmäßige Parallelität zu den sieben Schwertern kam. Jedes Schwert gezielt auf einen Hordenführer zu eichen, so weit ging ich dann aber doch nicht, weil ein Mechanismus á la „du brauchst Schwert X um Hordenführer Y zu besiegen“ der Kampagne wieder einen bestimmten Verlauf aufgeprägt hätte, und gerade solche Festlegungen wollte ich ja vermeiden.

Die dritte Geschichte, die sich als roter Faden durch die Sandbox zieht, sind die Machenschaften Maviths und Situyarâns. Der alte Elfenmagier ist ziemlich gewissenlos und nicht zimperlich in der Wahl seiner Mittel. Seine Allianz mit Mavith macht die beiden zu Schlüsselfiguren im Machtgefüge, deshalb habe ich an möglichst vielen Stellen Verbindungen zu diesen beiden NSCs installiert. In X liegt die Leiche des Bruders von Situyarân, in Y kauert ein Elfenmädchen, das über seine Grabräubereien bescheid weiß, in Z gilt es, Magiersöldner davon abzuhalten, sich Mavith anzuschließen usw. Sollten die SCs also jemals in diese Verschwörungsgeschichte hineingezogen werden, gibt es viele Möglichkeiten für den SL, daraus eine Kampagne zu machen. Und wenn nicht, tragen die roten Fäden zu Plausibilität und innerer Kohärenz bei – auch gut.

Wie wichtig rote Fäden bei näherer Betrachtung gerade in einer Sandbox sind, ergibt sich aus etwas, das ich in Teil 1 geschrieben habe: Hier geht die Initiative von den Spielern aus. Sie müssen die Chance haben, Querverbindungen zu erkennen und diesen zu folgen. Sie können sie ja nicht erfinden. Bestünde die Kampagne nur aus losen, für sich abgeschlossenen Szenarien, fiele es ihnen wohl schwerer, von sich aus ein großes, Kampagnen-umspannendes Drama aufzubauen und sie wären erst wieder auf den SL angewiesen.

Soweit meine paar Überlegungen zum Thema rote Fäden. Schritt 3 wird darin bestehen, die einzelnen Szenarien/Örtlichkeiten zu definieren. Das Rezept dafür – in Kürze.

DD#44 Helfende Hände

Je länger ich an Destiny Dungeon arbeite, desto mehr wird mir bewusst, wie wichtig es ist, bei einem Rollenspielprojekt wie diesem ein Paar helfende Hände (oder auch mehrere) zu haben. Die Unterstützung hier im Blog ist schon mal ein großer Boost an Inspiration und Motivation, der Braintrust meiner unmittelbaren Freunde ist ebenfalls etwas, ohne das ich Destiny nie zustande gebracht hätte, und jetzt kommt auch noch Hilfe von Moritz Mehlem! Ja, genau, derselbe! Moritz hat dankenswerterweise das Design des Dämonenspalts übernommen. Ich bin schon mega-gespannt, was er aus den paar Wortfetzen, die ich ihm zukommen ließ, zaubern wird!

Ja, liebe Rollenspieldesigner da draußen: Ebenso wie das Spiel ist auch das Design eines Spiels keine One-Man-Show. Als Erfinder braucht man ständig Input von außen, frische Ideen, Inspiration und auch seelische Unterstützung, vor allem dann, wenn die Arbeit überhand nimmt, der Zeitdruck größer wird und sich alle äußeren Faktoren gegen einen zu verschwören scheinen. Vor allem aber braucht man Leute, mit denen man seinen Enthusiasmus und seine Freude teilen kann. Wenn man Glück hat, entwickeln sich sogar Freundschaften daraus. Ist das nicht ein wunderbares Hobby? </pathos>

DD#42 Disziplin oder Inspiration

Zum einen möchte ich hiermit eine Kurzmeldung abgeben, dass es mich noch gibt und ich in jeder freien Minute an den Destiny Dungeon-Szenarien werke. Zum zweiten will ich einen Gedanken los werden, der mir in den letzten Tagen durch den Kopf ging. Und zwar fragte ich mich, was für das Zustandekommen eines Rollenspiel-Werkes (gilt vermutlich auch für Film, Buch, Musik und jede andere kreative Sparte) eher erforderlich ist: Disziplin oder Inspiration.

Dass beides optimal ist, ist ohnehin klar, aber welches von beiden ist wichtiger? Ich hatte in den letzten Tagen das Vergnügen, 18 Szenarien á 7000 Zeichen auszuarbeiten, und ich musste mich immer wieder selbst davon abhalten, ja nicht nach vorne zu schauen und darüber nachzudenken, was für eine Masse und Fülle an Details und Informationen mir noch bevorstand, sonst hätte ich wohl verzweifelt. Mittlerweile habe ich den Turnaround geschafft und weit weniger vor mir als hinter mir, und daher kann ich auch schon bedenkenlos auf das schauen, was ich noch zu tun habe. Aber eines ist mir dabei klar geworden: Ohne Selbstdisziplin und einer großen Leidenschaft für unser Hobby hätte ich das nie und nimmer fertig gebracht.

Was mich auch schon zu meiner – höchstpersönlichen – Antwort führt: Ich denke, Disziplin ist der weitaus wichtigere Wert im kreativen Prozess. Inspiration ohne Disziplin schafft höchstens Fragmente oder heiße Luft. Disziplin ohne Inspiration schafft zumindest etwas Fertiges, das einen Nutzen stiftet – wenn auch einen durchschnittlichen (so wie die Mehrheit der Bücher im Buchladen, der Songs im Radio oder der Hauptabendfilme auf Kabel1). Glücklich ist freilich, wer mit beidem im guten Einvernehmen steht, denn das eine befruchtet das andere auf eine ganz eigene Art.

DD#36 Gut Ding will Weile haben

Blöder Satz, aber er trifft irgendwie zu. Heute ist es offiziell: Ich habe meine selbstgesteckte Deadline nicht erreicht. Destiny Dungeon wird nicht zum 1.9. fertig werden. Anlässlich dieses Eingeständnisses habe ich versucht zu analysieren, woran’s gelegen hat.

  • Zum einen habe ich mich beim Regelwerk weiter von Destiny entfernt als ursprünglich erwartet. Mit den Archetypen-Gaben habe ich eine ganz neue Baustelle aufgerissen, weil eine ganze Menge Talente neu definiert und ausbalanciert werden musste. Auch das Gold-in-Erfahrung-Umwandel-Konzept hat einiges an Balancing gebraucht, ehe es hieb- und stichfest war.
  • Ich habe viel mehr Tabellen verfasst als ursprünglich gedacht. Mittlerweile gibt es Tabellen für Schätze, Handelswaren, Zufallsereignisse, Zufallsbegegnungen, NSC-Relationen, Haar- und Augenfarbe, äußere Merkmale von NSCs, Gerüchte, Elixiere, Artefakte usw. Das sind doch etliche Tabellenseiten mehr als geplant. Geplant war nämlich gar keine.
  • Es wird ein Kapitel über Strongholds (deutsches Wort weiß ich noch nicht) geben, das mit wenigen Würfelwürfen und Werten ermöglicht, Kontore, Gildenhäuser, Burgen oder Magiertürme zu verwalten. Das ganze wird eher kompakt sein, also keine Sims-Simulation, sondern einfach zur Inspiration.
  • Ich werde einen Dungeon Creator Mechanismus inkludieren, mit dem es mit wenigen Würfelwürfen möglich sein wird, einen Zufalls-Dungeon zu skizzieren. Mit Dreidimensionalität und Wasseradern! Wenn das Projekt fertig ist und ich ein bisschen Zeit habe, film‘ ich das vielleicht ab und stell’s auf Youtube.
  • Ziemlich viel Arbeit steckt in den 27 Aufhängern, mit denen ich dem SL eine Idee geben möchte, welche Art von Abenteuer er in den einzelnen Städten inszenieren kann. Natürlich auch, um den Charakter der Städte zu unterstreichen.
  • Die Szenarien waren und sind wohl der größte Verzögerer in diesem Projekt. Das Ausarbeiten erfordert gleichzeitiges Arbeiten mit Kartenmaterial, und da ich so etwas weder in der U-Bahn, noch in der Mittagspause und auch nicht einmal am Computer tun kann (siehe DD#35), schiebe ich diesen Task bis heute erfolgreich vor mich her.

Dann gibt es natürlich noch eine Reihe von Faktoren außerhalb des Projekts, wie z.B.

  • Meine Frau macht sich dieses Jahr selbstständig, d.h. ich werde sehr oft und sehr viel gebraucht, um ihr dabei unter die Arme zu greifen, sei es mit Mutmacher-Gesprächen, sei es mit Marketing-Strategien, Begriffsfindungen u.v.a.
  • Meine Tochter kommt dieses Jahr in die Schule. Sie braucht momentan besonders viel Zuwendung.
  • Ich habe im letzten Jahr viele neue Freundschaften geschlossen und verbringe mehr Zeit als früher, um diese zu pflegen und zu nähren.
  • Ich muss geistig bereits die Veröffentlichung von Araclia vorbereiten, die auch für dieses Jahr geplant ist.

Lessons learned:

  • Über den Sommer sollte man nicht unbedingt knapp mit seiner Zeit kalkulieren.
  • Ein Aufschlag von mindestens 25% des Aufwands für unvorhergesehene Inspirationen, die man dann doch noch unbedingt umsetzen will, ist Pflicht!
  • Mehr Meilensteine und Zwischenetappen planen und konsequent einhalten.

Alles natürlich nicht so schlimm, ich bin ja kein hochoffizieller Verlag, und die Verspätung wird aus heutiger Sicht auch nicht gravierend ausfallen, aber dennoch verbesserungswürdig. Ich hoffe jedenfalls, ihr seid bereit, noch ein bisschen zu warten, bis Destiny Dungeon das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

DD#35 Zwischen Frühlingsrolle und Curry-Reis

Gerade eben ist mir so richtig klar geworden, dass ich, während ich vor dem Computer sitze, unheimlich unkreativ bin. Nicht nur, dass mich ein gemütliches Surrounding (Couch, Gasthaus, Bett, Balkon…) beflügelt; es ist mittlerweile – früher war das nicht so – absolute Voraussetzung dafür, dass ich etwas Neues kreiere.

Bewusst geworden ist mir das gerade eben in der Mittagspause, die ich Montag mittag immer alleine, i.e. ohne Kollegen, beim Chinesen verbringe, um meine Woche zu planen und diverse Notizen zu Papier zu bringen. Während ich da also saß und zwischen Frühlingsrolle und Curry-Reis Dinge binnen Minuten fertigstellte, die mir zuvor selbst in mehreren Stunden am PC einfach nicht von der Hand gehen wollten, erkannte ich, dass alles, was ich bisher für Destiny Dungeon konzipiert habe, abseits des PC passiert ist. Nur dort, wo es auf Struktur und Formulierungen ankommt, also vor allem Tabellen und natürlich die Textierung, werke ich direkt am PC. Sogar die Karte von Istarea habe ich erst einmal auf Papier entworfen und dann eingescannt und am Campaign Cartographer nachgezeichnet.

Was ist das Spannende daran? Eigentlich gar nichts, aber das hier ist ja ein Blog, also kann man ruhig mal auch Unspannendes von sich geben. 🙂 Dafür ein kleines Update: Die Aufhänger (vormals „Mumpfdiwumps“, danke übrigens für die Hilfe bei der Begriffsfindung!) sind fertig: 27 Adventure Hooks werden den 9 Siedlungen beigegeben, um den SL zu Szenarien in und um die diversen Städte Istareas zu inspirieren. Damit rückt auch das erste Teil-Preview von Destiny Dungeon in greifbare Nähe!

DD#34 Plotpoint, Fragment, Splitter, Teaser

Destiny Dungeon soll ja nicht nur eine Sandbox werden, sondern auch ein Campaign Setting, das den Spielleiter in großem Maß mit Inspirationen versorgt, die es ihm leicht machen sollen, auch bei kreativem Notstand schnell mal einen Plot zu entwickeln. In diesem Sinne habe ich mich – auch wenn es erheblichen Mehraufwand bedeutet – dazu entschlossen, für jede der 9 Siedlungen im Tal 3 Mumpfdiwumps zur Verfügung zu stellen.

Mumpfdiwumps deshalb, weil ich noch nicht weiß, wie ich sie nennen soll. Handelt es sich um Plotpoints, Fragmente, Splitter, Teaser, Abenteueraufhänger oder schlichtweg weiterführende Ideen? Hier ein solches Mumpfdiwump, wie es in Garavorn zu erleben sein könnte.

Traumbande: Die Weiße Schwester Viniria warnt vor einer finsteren Präsenz, einem Nachtmahr, der seit einigen Wochen stets in den Nachtstunden an Macht gewinnt und in den nächsten Tagen in die Welt treten wird. Wegbereiter für diesen Traumdämon Andurul sind die Träume einer Gruppe von Schlafenden, die das Rauschkraut Farbenblatt einnehmen, welches sie vom Barden Sikyando erhalten. Nur er kennt die Identität aller 18 Schlafenden, allerdings ist er nicht bereit, sein lukratives Geschäft einzustellen. Die Schlafenden selbst wehren sich mit dämonischen Kräften, und zu allem Überfluss giert die Schwarze Hydra nach dem Vorrat an Farbenblatt, in der Erwartung, Andurul beherrschen zu können.

Meine Erwartung wäre nun die, dass Spielleiter solche Mumpfdiwumps hilfreich und inspirierend finden. Ist das so? Oder ist die Granularität der Information zu grob, um irgendetwas damit anzufangen?

(Möglicherweise birgt der Podcast von PiHalbe zum Thema „Creative Constraint“ die Antwort auf diese Frage. Ich weiß es nur nicht, weil es mir bisher noch nicht gelungen ist, den Podcast länger als bis zur Hälfte zu hören, weil dann immer mein Android-MusicPlayer abreißt und wieder von vorne zu spielen anfangt. Trotzdem gefällt mir der PiCast gut, weshalb ich diese Gelegenheit nutze, um ihn hier mal jenen ans Herz zu legen, die ihn noch nicht kennen.)

Die Frage, mit der ich also gerade hadere, ist: Bis zu welchem Detailgrad ist Information nutzlos, ab welchem ist sie hilfreich, und ab welchem Punkt ist sie überdeterminiert? Es ist mir ein großes Anliegen, mich mit meinem Material im „Hilfreich“-Bereich zu bewegen und die Grenzen weder in die eine noch in die andere Richtung zu übertreten.

DD#32 Lebenszeichen

Lang ist’s her, dass ich hier jeden Werktag einen Artikel schrieb. Zur Zeit aber bin ich Hals über Kopf im Entwicklungsprozess gefangen, sodass ich kaum Gelegenheit zu anderen Dingen finde, und natürlich knabbert der Sommer – z.B. Outdoor-Programme mit den Kids – ganz erheblich an der Zeit, die mir am Computer bleibt. Ein Rollenspiel wie Destiny Dungeon zu entwickeln, ist sehr viel Arbeit. Setting, Regeln und Szenarien – das kostet unheimlich viel Zeit, und das merkt man in jenen Momenten ganz besonders, in denen manche Puzzlesteine nicht recht zusammenpassen wollen, Sachen länger dauern als geplant und man vielleicht auch noch mit der eigenen Motivation und Disziplin zu kämpfen hat, weil man am liebsten schon wieder das nächste Projekt in Angriff nehmen würde.

Glücklicherweise kenne ich diese Phasen schon und weiß, dass sie am schnellsten vorbei gehen, wenn man sich ganz besonders tief in die Arbeit stürzt. Und genau das tue ich gerade. Ich skizziere 27 lokale Kurzplots, sauge mir Namen für die Völker aus dem Finger und schreibe Steckbriefe für Orte und Persönlichkeiten. Daneben instruiere ich meinen Illustrator bezüglich der verbleibenden Bilderchen. Ich schärfe die Archetypen, balanciere die Talente und eliminiere den primären Aspekt, den es bei Destiny gab, aus dem Regelwerk und ersetze ihn durch Archetypen-Affinitäten, die besser zu Old-School passen und Destiny Dungeon noch ein Stück mehr vom normalen Destiny abheben. Außerdem nehme ich mich des Geldes an und schaue, dass Warenpreise, Schätze, Kosten für die Herstellung von Spruchrollen und die QP-in-Gold-Umtausch-Ratio sinnvoll mit einander korrelieren. Und wenn mir Zeit bleibt, denke ich über das Thema Sandkastenträume nach (siehe letzter Artikel).

Ich bitte die geneigte Leserschaft dieses Blogs daher um Nachsicht für die unregelmäßigen Postings der letzten Wochen und gedenke, euch dafür in Bälde mit einem aussagekräftigen Zwischenstand des Projekts zu entschädigen. Besonderer Dank übrigens an dieser Stelle an die regelmäßigen und unregelmäßigen Kommentatoren, deren Input ich zu schätzen weiß und wirken und reifen lasse.

DD#28 Ich seh‘, ich seh’…

Heute möchte ich inhaltlich aus dem Nähkästchen plaudern und ein Beispiel dafür geben, wie das Definieren eines einzigen Zauberspruchs einen ganzen Abend verbraten kann und welche komplexen Überlegungen hinter einer einzigen kleinen Regel stehen können.

Vorgestern traf ich mich mit meinem Trauzeugen Roland, der zugleich „Chef-Analytiker“ der Destiny-Talente war und mich schon vor so manch kapitalem Fehler bewahrt hat. So pendelten wir in der Wiener Innenstadt von Café zu Café, nur beim Thema kamen wir nicht von der Stelle: Der Seher in Destiny Dungeon.

Der Seher ist einer der problematischsten Archetypen, die es im Rollenspiel gibt. Was ihn eigentlich auszeichnen sollte, ist, dass er durch Zeit und Raum sehen kann, aber beides sind Dinge, die sich im Spiel schwer und in einem crunchigen Regelwerk wie Destiny noch schwerer abbilden lassen. Alle Talente, die mit Timing zu tun haben, sind extrem heikel (wer Magic The Gathering kennt, weiß, wieviele Fragen alleine das Thema Instant und Interrupt aufwirft), solche, die mit klassischer Hellsicht zu tun haben, haben enormes Spoiler-Potenzial.

Konkret ging es darum, dem Seher ein neues Grad 0-Talent angedeihen zu lassen, das ihm hilft, seine Rolle zu verkörpern, aber nur beschränkt mächtig ist. Man muss dazu sagen, dass in der momentanen Fassung von Destiny Dungeon die Archetypen-Talente ohne Probe, also jedenfalls gelingen und Grad 0-Talente zudem auch keine Destiny-Punkte kosten. Die Frage war also: Was kann man dem Seher quasi „frei Haus“ geben, ohne die Spielbalance zu gefährden?

  • Gefahreninstinkt? Lieber nicht. Ein Seher in der Runde, und jeder SL kann sich seine Überraschungsangriffe, Fallen und plötzlichen Entwicklungen an den Hut stecken. Und das nicht hin und wieder, sondern ständig. Wir erwogen kurz, den Seher nur seine Nachteile vermeiden zu können, aber das ist wenig kooperativ und könnte dazu führen, dass die Gruppe ihn anstelle des Diebes vorschickt. Lieber nicht…
  • Gedankenband? Der Seher als gedankliche Schaltzentrale zwischen den Gefährten? Eine Legitimation dafür, dass Spieler sowieso immer ein Quäntchen Spielerwissen in ihr Rollenspiel einbringen, zumindest unbewusst? Dauernd, ständig, unter allen Bedingungen? Sehr passiv, auch nicht das Gelbe vom Ei.
  • Telepathische Verständigung? Auf den ersten Blick ziemlich cool: Seher mit Schweigegelübde, der hauptsächlich telepathisch kommuniziert – warum eigentlich nicht! Auf den zweiten Blick ziemlich uncool, denn dann kann ich als Seher die NSCs mit ständigem un-ort-barem telepathischem Geschwafel zwangsbeglücken, ablenken und mobben. Geht als Grad 0-Talent nicht durch.
  • Letztendlich sind wir bei etwas ganz anderem gelandet, das ich bereits in Araclia implementiert hatte und nun wieder ausgrub: Der Seher hinterlässt an einem Ort einen Teil seiner (optischen) Wahrnehmung, ich nenne es sein Drittes Auge. Er kann dadurch jederzeit an diesen Ort (zurück)blicken und auf dortige Ereignisse – gleichsam wie auf Bewegungen im Augenwinkel – aufmerksam werden. Die genauen Details sind noch zu spezifizieren, wie lange, wie deutlich etc., aber im Grunde glaube ich damit, einen ganz nützlichen Utility-Zauber für den Seher gefunden zu haben. Normalerweise werden solche Zauber ja selten verwendet, weil man nur ungern Punkte für etwas ausgibt, von dem man nicht weiß, ob es relevant wird. Da aber Grad 0-Talente keine Punkte kosten, sollte das hier kein Thema sein.
    Und indem ich Audio ausspare und den Seher nur hellsehen, nicht aber hellhören lasse, bringe ich den SL nicht in die Verlegenheit, dauernd ausgefeilte Dialoge zwischen seinen NSCs wiedergeben zu müssen. Er beschränkt sich dann einfach auf Gesten, Gesichtsausdruck, Gegenstände, die übergeben werden, und wenn es wirklich wichtig ist, kann man ja immer noch Würfe auf INT/GES (Lippen lesen, Körpersprache deuten) zugestehen.
    Was mir an dem Dritten Auge auch gut gefällt: Es eröffnet dem SL die Möglichkeit, auch Interaktion zwischen NSCs darzustellen, vielleicht eine Alltagssituation oder einfach nur eine lustige Szene zu beschreiben oder gezielt Hinweise auszugeben, die er sonst nicht untergebracht hätte.

Roland hatte am Ende unseres Brainstormings noch ziemliche Zweifel. Mal sehen, ob sie sich als berechtigt herausstellen. Das ist das Spannende am Designprozess: Bis zum Test weiß man nie, welche Regeln sich bewähren.

Da fällt mir ein: Ich seh‘, ich seh’… die Auflösung zum Fehlersuchbild von DD#27: Völlig zurecht haben einige festgestellt, dass es nicht nur 1 Ungereimtheit gibt – naja, niemand ist perfekt. Was aber zumindest für mich am schwersten gewogen hat, war die Tatsache, dass der Gaukler mit dem Rücken im Netz steht und auch noch die Hände hoch hält. Es muss sehr seltsam anmuten, wenn ein Gaukler mit hoch erhobenen Händen rückwärts durch einen Dungeon spaziert. Aber hey, vielleicht wich er vor Armbrustschützen zurück, die ihn ins Innere drängten! Scherz. John hat mittlerweile zugegeben, dass er beim Skizzieren nicht Herr seiner Sinne war, die (etwas) verbesserte Fassung zeige ich hier in Kürze.

Ideenfindung im Grünen

Alle Schreibwerkstätten und einschlägigen Bücher raten kreativ Schaffenden, Pausen zu machen, spazieren zu gehen, Sport zu treiben etc. Ich selbst habe das lange Zeit nicht verstanden und mir lieber krampfhaft Worte am Computer abgerungen als einen Fuß vor die Tür zu setzen. Wie bei allen Effekten, die man nicht messen kann, befürchtete ich auch hier, dass ich nur Zeit verschwenden würde, die mir letztendlich anderswo abging.

Zumindest im Sommer halte ich es mittlerweile konsequent anders: Ich nutze die Tatsache, dass wir ein Naherholungsgebiet vor der Tür haben, und verbringe so viel Zeit wie möglich in der freien Natur. In den letzten drei Tagen war das Wetter schön und ich so produktiv wie selten zuvor: Die NSCs sind fertig, die Gruppierungen sind fertig, die Städtebeschreibungen sind fertig, und ca. ein Viertel der abenteuerlichen Locations aka „Dungeons“ sind konzeptionell auch fertig. Ich gehe dabei in 3 Stufen vor:

  • Stufe 1 ist die Ideenfindung. Ich sitze auf der Terrasse eines Schutzhauses mit Blick ins Grüne (siehe Foto) und habe ein Notizbuch bei mir. Ich nehme mir ein Thema vor, z.B. was fällt mir zu den Ayasyel-Ruinen ein?, und notiere mir Namen, spieltechnische Details, verbindende Elemente, Plot Hooks etc. Da ich nicht alles immer im Kopf habe, schaue ich Details, die ich bereits festgelegt habe, via Handy in meinem Arbeits-Wiki nach und kehre dann wieder zum Notizbuch zurück. Dazwischen schlürfe ich Kaffee und beobachte die Menschen und ihre Geschichten um mich herum.
  • Stufe 2 ist die Strukturierungsphase. Ich tippe all diese Ideen in mein Arbeits-Wiki, damit sie für mich überall elektronisch verfügbar sind. Meistens als Aufzählungspunkte, die ich bereits thematisch aneinander reihe. Das sieht dann wie im nebenstehenden Screenshot aus. Das mache ich meistens noch am selben Tag; weil es eher eine stupide Sache ist, eher am späten Abend.
  • Stufe 3 ist die Textierung. Ich verwandle die Punkte in einen Fließtext. Das Formulieren und kausale Verknüpfen der Elemente hilft mir dabei, die weniger tollen oder unpassenden Ideen zu erkennen. Ich streiche sie dann einfach adhoc, sie fließen also in den Text nicht ein. Wenn ich merke, dass noch Punkte fehlen, füge ich mir ein To-Do hinzu, über das ich zu gegebener Zeit nochmal nachdenke. Diese Phase ist ebenso zeitaufwändig wie Phase 1, braucht aber wesentlich mehr Konzentration, weil das ganze ja auch sprachlich attraktiv und präzise sein soll und vor allem so rüberkommen soll, wie ich mir die Elemente vorstelle. Und unterhaltsam sollte sich das ganze auch noch lesen, mit einer homöopathischen Dosis Humor bzw. Ironie.

Später, wenn all das ins Layout-Programm wandert, sehe ich erst, ob ich noch Platz zu befüllen habe oder Texte kürzen oder, wie ich immer sage: „eindampfen“ muss. Aber das gehört nicht mehr zum kreativen Prozess (macht auch nicht wirklich Spaß) und soll daher nicht Gegenstand dieses Artikels sein.

Natürlich hat jeder seinen eigenen kreativen Prozess, aber ich hoffe, hiermit dem einen oder anderen Schreiberling unter euch Lust auf „draußen“ gemacht zu haben.

DD#24 Bericht vom 1. Destiny-Dungeon-Workshop

Letzter Freitag war ein Mega-Meilenstein: Der erste Destiny-Dungeon-Workshop fand statt! Teilnehmer waren vier Rollenspieler, die möglichst wenig gemeinsam haben sollten: ein Cthulhu-Guru, eine D&D-Spielerin, ein Old-School-Jünger sowie ein bereits mit Destiny gut vertrauter alter Freund. Auf dem Plan standen 17.00 Beginn mit Mango und Melone, Regeln erklären, Character erschaffen, Abenteuer spielen und Nachbesprechung mit Cocktails. Sehr erfreulich: Ich konnte mein selbst auferlegtes Destiny-Zeitlimit – Erklärung der Regeln und Erschaffung binnen 1 Stunde – tatsächlich halten, sodass genug Zeit für das Abenteuer blieb:

Um 18.00 startet wir im wiedereröffneten Wirtshaus zum leuchtenden Würfel, dessen Hintergrundgeschichte man erst hören wollte, als ein rachsüchtiger, halb verdauter Magier auftauchte, einen Naraskius anrief und, nachdem dieser sich nicht meldete, das Wirtshaus mitsamt allen Anwesenden in den Sumpf teleportierte. Es folgten Gespräche mit Wirtin und Gästen und Durchsuchen der Gaststätte, dann brachen plötzlich Schatzsucher-Zwerge durch, aber den Vortritt in den geheimen Keller des Naraskius überließen sie dann doch den SCs. Da waren Fallen und Rätsel aller Art und Meister Naraskius selbst – bzw. sein Geist. Nachdem die SCs ihn losgeworden waren, fanden sie seinen Schatz und sein Tagebuch und die Hintergründe über die Fehde mit dem halbverdauten Einen. Da sich das Wirtshaus aber immer noch im Sumpf befand und kein Weg daraus ersichtlich war – zwei Tage waren die SCs unterwegs, wobei sie zumindest eine Ogerhöhle und ein Dorf nicht allzu offenherziger Elfen entdeckten – musste es noch ein anderes Problem geben: Ah! Man überredete/überwältigte die Wirtin dazu, ihr neu eröffnetes Wirtshaus wieder zu schließen. Das half! Der verdaute Eine tauchte tatsächlich auf, doch die Wirtin lief plötzlich Amok – und unglücklicherweise in ein Wasserloch. Und schon war der Eine hochzufrieden: Das Gasthaus seines Feindes war geschlossen, dessen Ur-ur-ur-Enkelin tot. Großmütig teleportierte er Wirtshaus plus Gäste wieder zurück.

Dafür, dass sich von den vier Spielern nur zwei kannten, lief das Rollenspiel sehr reibungslos, und ich glaube nicht, dass man spürte, dass es ein Alpha-Test war. Als SL hat’s jedenfalls viel Spaß gemacht. Die Nachbesprechung war extrem erhellend, alle Beteiligten konnten mir – teilweise dank schriftlicher Aufzeichnungen während der Session – präzise vermitteln, was für sie besonders gut funktionierte und was nicht.

  • Mir besonders wichtig war das Grundfeedback, dass die Destiny-Engine absolut perfekt läuft und ausreichend Old-School-Spielgefühl heraufbeschwört. Das ist schonmal wichtig, denn sonst hätte ich das ganze Projekt hinterfragen müssen.
  • Positives Feedback gab es auch zu meinen Archetypen-Beschreibungen, die inhaltlich interessant, fantasievoll und „tongue-in-cheek“-ig erachtet wurden. Conclusio: Inhalt kann mal bleiben, Text muss natürlich noch sprachlich überarbeitet werden.
  • Leider spiegelten sich die Archetypen im Spiel nicht ausreichend wider. Es wurde bemängelt, dass alle Archetypen gleich viele KON und Destiny-Punkte hätten und sich in diesem Punkt zu wenig unterschieden. Conclusio: Alle Archetypen bekommen eigene Startwerte bei KON und Destiny-Punkten. Letztere sind nicht mehr an die Stufe zu binden.
  • Auch wurde negativ befunden, dass der Attribut-Range bei der Erschaffung zu gering sei und alle irgendwie recht „durchschnittlich“ seien. Meine Vermutung, dass die nackten Wahrscheinlichkeiten ohnehin von niemandem als Differenzierungsmerkmal betrachtet würden, war somit schlicht falsch. Conclusio: Wertebereich nach oben und unten erweitern.
  • Psychodynamisch interessant und positiv bewertet wurde das Festlegen der Attribute bei der Erschaffung mittels Würfelwurf. Ich hatte befürchtet, dass dieses Zufallselement nicht so gut ankommen würde, aber Einflussnahme und Unberechenbarkeit dürften einander dabei gut die Waage gehalten haben.
  • Kurios: Die Freiräume, die ich bei der Erschaffung einräumte, damit man auch aus den Archetypen ausbrechen könne, wollten die Spieler gar nicht. Vielmehr rieten sie mir, meine Vorstellungen von den Archetypen einfach festzulegen und alles drumherum verpflichtend zu bauen. Conclusio: Mehr Mut zum Archetyp, spezifische Talente nicht optional, sondern verbindlich machen.
  • Zu Abenteuer und Welt erhielt ich das – für mich besonders erhebende – Feedback, dass man bereits anhand vieler Kleinigkeiten spüre, dass Istarea als eine schlüssige, lebendige Welt im Hintergrund existiert, die sich auch ohne Zutun der Spieler entwickelt. Sehr gefreut habe ich mich darüber, dass die Limis-süchtigen Elfen und gewaltlosen Zwerge gut angekommen sind und nicht ins ausgelutschte Klischee kippten. Da bin ich offenbar auf dem richtigen Weg.

Insgesamt also noch vieles zu tun! Ob ich den September wirklich schaffe? Keine Ahnung. Eines ist aber sicher: Es wird noch einen zweiten Workshop, vermutlich im August, geben, in dem sich die adaptierten Erschaffungsregeln beweisen werden müssen und Steigerungs- und Ressourcensystem im Fokus stehen werden.